50 Jahre Uniklinikum: Bei Vergiftungen Hilfe rund um die Uhr

50 Jahre Uniklinikum: Bei Vergiftungen Hilfe rund um die Uhr

Nein, früher war nicht alles besser: Zum Beispiel die Verschlüsse von Waschmittelpackungen oder anderen Putzmitteln. Die Packungen standen bundesweit überall in Küchen und Bädern und sie gingen kinderleicht auf. Auch das Bewusstsein, Medikamente sicher zu lagern, war noch nicht weit verbreitet. Die Folge des sorglosen Umgangs: immer wieder schwere Vergiftungen bei Kindern.

Für die Kinderärzte in den Praxen oder auch in den Notaufnahmen der Krankenhäuser war das eine sehr schwierige Situation – denn auch, wenn die Eltern sagen konnten: „Das war das und das Putzmittel“ – niemand kennt die Rezeptur eines Waschmittels auswendig, auch kein Arzt. Aus dieser Erfahrung gründete Prof. Max von Clarmann schließlich den Giftnotruf.

Aller Anfang ist schwer

Prof. Thomas Zilker, der 1981 als Oberarzt in die Toxikologische Abteilung eintrat und 1993 die Leitung übernahm, erinnert sich noch lebhaft an die Karteikarten, auf denen die Inhalts- und Giftstoffe aller gängigen Putz- und Waschmittel vermerkt waren. Somit konnte im Notfall beispielsweise die Frage: „Welche Stoffe sind im Weißen Riesen enthalten?“ recht schnell beantwortet werden, samt den möglichen Gegengiften und Behandlungsmöglichkeiten. Viele zehntausend Karteikarten sammelten sich so an, auch giftige Pflanzen und Tiere fanden dort Aufnahme. In den 80er Jahren wurde schließlich begonnen, dieses Karteisystem zu digitalisieren. Es wird auch heute noch ständig erweitert. Die Ausstattung der Anfangsjahre war rudimentär – kein eigenes Büro, Notrufe in der Nacht wurden vom Dienstarzt in Empfang genommen und die Finanzierung war äußerst schwierig. Letzteres hat sich bis heute nicht wesentlich geändert.

Prof. Florian Eyer, Leiter der Abteilung für Toxikologie, im Giftnotruf.

Prof. Florian Eyer, Leiter der Abteilung für Toxikologie, im Giftnotruf.

Ein spannender Beruf

Wenn man sein Berufsleben den toxischen Stoffen widmet, erlebt man auch einiges Spannendes: Angefangen von versuchten oder auch geglückten Morden bis hin zur Involvierung bei einer terroristischen Attacke: „2003 haben 50 Tschetschenen die 900 Besucher einer Theateraufführung in Moskau als Geiseln genommen“, erinnert Zilker an das Ereignis, das die Welt für kurze Zeit in Atem hielt. Die Befreiung der Geiseln erfolgte auf recht drastische Art und Weise: Die russischen Verantwortlichen leiteten Narkosegas in das Theater, wobei etwa 100 Geiseln starben. Unter den befreiten Geiseln waren auch zwei Deutsche, die nach München geflogen wurden. „Wir bekamen eine Anfrage von den Amerikanern, die wissen wollten, um welches Narkosegas es sich genau gehandelt habe“, erzählt Thomas Zilker. Denn die Russen wollten es nicht verraten und hier am Rechts der Isar konnte man das verwendete Gas aufgrund der Blut- und Urinproben der zwei Patienten zwar nicht ganz genau bestimmen, aber immerhin sehr weit eingrenzen.

Stichwort Terrror

Gemeinsam mit der Bundeswehr und dem Walther-Straub-Institut der LMU erforschte man in einer Studie die optimale Dosierung von Obidoxim bei Vergiftungen mit Organophosphaten, das als Modellsubstanz auch bei Angriffen mit Nervenkampfstoffen wie Sarin eingesetzt werden kann. Sarin erlangte durch den tödlichen Anschlag in der U-Bahn in Tokio traurige Berühmtheit. Obidoxim und andere Oxime werden mittlerweile in ausreichender Menge vorrätig gelagert. Auch anderweitig versuchen die Toxikologen, auf mögliche Terrorattacken vorbereitet zu sein: „Während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland hatten wir hier im Hof vorbeugend eine Anlage zur Dekontamination aufgestellt“, berichtet der jetzige Chef der Klinischen Toxikologie, Prof. Florian Eyer.

Schwerpunkte

Seit 2012 ist Eyer an der Spitze der Toxikologie. Er hat sich ganz den Giften verschrieben, oder besser gesagt der Frage, wie man diese Gifte am besten wieder aus dem Körper hinausbekommt – zum Beispiel mit Aktivkohle. Zu seiner täglichen Arbeit als Mediziner gehören auch die Suchtpatienten, die auf der geschützten Station behandelt werden, sowie Menschen, die versucht haben, sich mit anderen Noxen (z. B. Medikamenten) umzubringen.

Natürlich fällt auch der Giftnotruf in seinen Verantwortungsbereich, wo wie bereits seit der Gründung vor über 50 Jahren Anrufer zu allen Fragen rund um Gifte und Vergiftungen beraten werden. Und wie zu Anfangszeiten ist die Finanzierung sehr schwierig: „Natürlich werden wir vom Haus unterstützt und auch das Land übernimmt sehr großzügig einen Teil der Finanzierung“, erklärt Florian Eyer. Seit 2013 müssen außerdem ausschließlich Ärzte aus Klinika, die sich telefonisch beraten lassen, eine Kostenbeteiligung im Rahmen einer Konsil-Leistung bezahlen. Trotzdem bleibt der Giftnotruf nach wie vor ein Zuschuss-Geschäft. Dabei müsste das gar nicht sein, wenn es gerecht zuginge, findet Eyer: „Beim Giftnotruf leisten wir nicht nur sehr gute Arbeit, sondern wir helfen, dass die Krankenkassen eine Menge Geld sparen.“ Denn vielen Hilfesuchenden kann schon am Telefon Entwarnung gegeben werden – das heißt, sie kommen nicht in die Notaufnahme. „Hier machen es sich die Kassen oft zu einfach und müssten zur Finanzierung auch in die Pflicht genommen werden“, kritisiert der Chef-Toxikologe. Und er hofft, dass sich das in Zukunft ändern wird. 

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