Antibiotikaresistente Erreger sind eine Bedrohung für die globale Gesundheit - Interview zum Europäischen Antibiotikatag

Antibiotikaresistente Erreger sind eine Bedrohung für die globale Gesundheit - Interview zum Europäischen Antibiotikatag

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezeichnet Antibiotikaresistenzen als eine der größten Bedrohungen für die menschliche Gesundheit. Zum heutigen Europäischen Antibiotika-Tag sprachen wir mit Dr. Friedemann Gebhardt, Leiter der Abteilung Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum rechts der Isar. Er erläutert, wie groß die Gefahr wirklich ist, wie die Lage in Deutschland aussieht und welche Ansätze notwendig sind, um die weitere Ausbreitung multiresistenter Keime einzudämmen.

 

Herr Dr. Gebhardt, lässt sich die Sorge der WHO mit Zahlen belegen?
Dr. Gebhardt: Durch antibiotikaresistente Erreger stehen auch für eigentlich gut behandelbare Infektionen nur noch eingeschränkte Therapieoptionen zur Verfügung. Dies hat erhebliche Konsequenzen für den Verlauf der Infektionen und führt nicht zuletzt zu mehr Todesfällen. Eine Hochrechnung geht für 2019 von weltweit knapp fünf Millionen Todesfällen aus, die im Zusammenhang mit einer Infektion durch antibiotikaresistente Erreger stehen. Bei über eine Million dieser Fälle war eine Infektion mit antibiotikaresistenten Erregern unmittelbare Todesursache.
 
Was sind die Gründe für die Resistenzbildung und wie steht Deutschland international da?
Dr. Gebhardt: Jegliche Anwendung von Antibiotika, ob in der Human- oder in der Veterinärmedizin, führt zu einem sogenannten Selektionsdruck. Sensible Bakterien werden durch die Antibiotika abgetötet, während Bakterien mit entsprechenden Resistenzmechanismen unempfindlich gegen diese Antibiotika sind, dadurch einen Vorteil besitzen und sich vermehren können. Diese Resistenz geben sie dabei an die nächste Generation weiter.  Resistenzen werden unter anderem verstärkt durch einen übermäßigen Antibiotikaeinsatz, der falschen Anwendung wie der unkritischen Gabe von Reserveantibiotika und durch eine unzureichende Dosierung oder eine viel zu lange Therapiedauer.

Bei der Weiterverbreitung dieser resistenten Keime spielen dann auch Übertragungen innerhalb von Krankenhäusern oder auch die weltweite Mobilität der Menschen eine große Rolle.

Die gute Nachricht: In Deutschland, aber auch in vielen anderen EU-Ländern kann man seit einigen Jahren einen deutlichen Rückgang der verschriebenen Antibiotikamengen gerade im ambulanten Sektor oder in der Tiermedizin beobachten. Diese Entwicklung geht mit einem Rückgang von bestimmten multiresistenten Bakterien wie MRSA (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus) einher.

Mit der Einrichtung von sogenannten Antibiotic-Stewardship-Teams* in vielen Krankenhäusern konnte auch das Verordnungsverhalten im stationären Bereich deutlich verbessert werden.Andere multiresistente Bakterien nehmen jedoch insbesondere auf globaler Ebene weiter deutlich zu.
 
Werden noch neue Antibiotika entwickelt und wie sieht es mit der Zulassung aus?
Dr. Gebhardt: Entwicklung und Zulassung von neuen Antibiotika sind wissenschaftlich und regulatorisch sehr aufwändig und finanziell wenig lukrativ. Deswegen ist in den vergangenen Jahrzenten eine Forschungslücke entstanden und nur sehr wenige Substanzen erreichten Marktreife.

Gleichzeitig besteht ein großer Bedarf nach neuen antimikrobiellen Medikamenten. Um diesem Problem zu begegnen, wurden seit einigen Jahren globale Initiativen über die WHO oder dem G20-Bündnis ins Leben gerufen und weitreichende öffentliche wie private finanzielle Förderungen sowie regulatorische Anpassungen auf den Weg gebracht. Dadurch konnten mittlerweile deutlich mehr neue und vielversprechende Substanzen entwickelt werden, die teilweise auch schon im Zulassungsverfahren weiter fortgeschritten sind.

Dennoch bleibt der Wettlauf von Resistenzentwicklung und Verfügbarkeit neuer antimikrobieller Substanzen eine große Anstrengung.
 
Welche Ansätze sind notwendig, um die Ausbreitung von antibiotikaresistenten Erregern zu reduzieren?
Dr. Gebhardt: Im globalen Aktionsplan der WHO wurden bereits 2015 die wesentlichen Strategien formuliert, um dem Problem zu begegnen. Dazu gehören zum Beispiel verstärkte Anstrengungen in die Datenerhebung zum Antibiotikaverbrauch und die Forschung. Auch ein starker Fokus auf die Vorbeugung von Infektionen durch Hygienemaßnahmen und Impfungen hilft, den Antibiotikaverbrauch weiter zu senken.

Ganz zentral bei der sich verschärfenden Resistenzproblematik sind der adäquate Einsatz von Antibiotika und innovative, koordinierte Ansätze zur Entwicklung und Markteinführung neuer antimikrobieller Substanzen. Letztlich kann die Herausforderung nur durch einen „One Health“-Ansatz gelöst werden, bei dem sektorübergreifende Zusammenhänge von Humanmedizin, Veterinärmedizin und Umweltaspekten berücksichtigt werden.

 

*Antibiotic Stewardship

Unter Antibiotic Stewardship (ABS) versteht man ein Programm zum rationalen Gebrauch von Antiinfektiva (Medikamente gegen Infektionskrankheiten). Am Klinikum rechts der Isar der TUM gibt es eine ABS-Stabsstelle. Ein interdisziplinäres Team entwickelt Strategien und Leitlinien zum maßvollen und gezielten Gebrauch von Antibiotika, um der zunehmenden Herausforderung durch resistente Bakterien zu begegnen. Dies sichert die Qualität der Antiinfektivabehandlung bezüglich Substanzwahl, Dosierung, Verabreichung und Therapiedauer. Zur Arbeit des ABS-Teams des Klinikums rechts der Isar gehört auch das Erstellen eines jährlichen Antibiotika-Verbrauchsberichts, eines Antiinfektiva-Leitfadens mit allen interdisziplinär erarbeiteten Leitlinien speziell für das Klinikum, interne Schulungen und Visiten sowie Broschüren im Kitteltaschenformat mit den wichtigsten Infos zu den häufigsten Antibiotika und Infektionskrankheiten im Krankenhaus.

 

Beteiligte Fachbereiche und Kliniken: 
Back to top