Lieferengpässe bei Medikamenten sind eine große Belastung

Lieferengpässe bei Medikamenten sind eine große Belastung

Zum Welttag der Patientensicherheit am 17. September erklärt Krankenhausapotheker Dr. Helmut Renz, wie das Universitätsklinikum rechts der Isar die Versorgung sicherstellt

Liefer- und Versorgungsengpässe bei Medikamenten sind eine wachsende Herausforderung für Krankenhausapotheken. Zum Welttag der Patientensicherheit am 17. September, der in diesem Jahr unter dem Motto „Sichere Medikation“ steht, erklärt Dr. Helmut Renz, Chefapotheker des Universitätsklinikums rechts der Isar, wie sein Team die Versorgung von Patientinnen und Patienten auch mit lebenswichtigen Arzneien sicherstellt.  

 

Die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg führen vielerorts zu neuen Lieferschwierigkeiten. Betrifft das auch Medikamente?
Dr. Renz:
Leider ja. Lieferengpässe für Medikamente gab es schon davor, sie sind in der Corona-Pandemie aber sehr deutlich geworden. Das begleitet die Apotheken schon lange und ist für uns eine große Belastung. Man steht fast jeden Tag vor neuen Überraschungen, was gerade nicht oder nur eingeschränkt verfügbar ist.

Sind bestimmte Medikamente besonders betroffen?
Dr. Renz: Nein, es betrifft Arzneimittel aller Indikationsgruppen.

Was bedeutet das für die Patient*innen und das ärztliche Personal im Klinikum?
Dr. Renz: Bisher konnten wir die Versorgung des Klinikums immer sicherstellen. Aber es stellt einen erheblichen Mehraufwand dar. Dies gilt ebenso für die Pflege und Ärzteschaft, weil auch sie sich immer wieder auf neue Produkte einstellen müssen, wenn wir auf einen anderen Hersteller oder eine andere Stärke eines Präparats wechseln – oder sogar auf einen anderen Wirkstoff ausweichen müssen. Das bindet Arbeitszeit und führt zu erheblichen Mehrkosten.

Wie stellen Sie sicher, dass es dann nicht zu gefährlichen Verwechslungen oder Fehldosierungen kommt?
Dr. Renz: Wenn wir ein nicht lieferbares Produkt durch ein anderes ersetzen müssen, fotografieren wir die alte und die neue Packung und erstellen ein Dokument, das alle Stationen erhalten: „Achtung, das bisher gelieferte  Medikament wird jetzt durch ein neues ersetzt!“ Das macht Arbeit, aber wir maximieren damit die Arzneimitteltherapiesicherheit bei der Präparateumstellung. Diese Umstellung erfolgt dann nur für die Dauer des Lieferengpasses. Derartige durch Lieferengpässe erzwungene Präparatewechsel finden bis zu 280-mal im Jahr statt.

Wie reagieren Sie konkret, wenn ein Medikament knapp wird?
Dr. Renz: Fällt ein Produkt aus, weil der Hersteller nicht liefern kann, recherchieren wir bei den Großhändlern und kaufen gegebenenfalls dort. Funktioniert auch das nicht, prüfen wir, ob das Produkt in einer anderen Packungsgröße oder von einem anderen Hersteller verfügbar ist. Schließlich gibt es noch die Möglichkeit des Imports aus dem Ausland. Ist auch das nicht möglich, überlegen wir, wie wir das Medikament ersetzen können, indem wir auch in Rücksprache mit den Anwenderinnen und Anwendern auf einen anderen Wirkstoff umsteigen.

Die indische Pharmaindustrie hat angekündigt, bis 2030 zum weltgrößten Hersteller von Arzneimitteln aufzusteigen. Inwiefern ist das ein Risiko?
Dr. Renz: Die Risiken haben sich hier insbesondere in der Corona-Pandemie gezeigt: Bei Arzneien, die im Ausland – insbesondere in Indien oder China – hergestellt werden, sind die Lieferketten sehr anfällig, etwa weil ein Land zum Beispiel pandemiebedingt seine Häfen sperrt. Dann können freigegebene Medikamente erst gar nicht ausgeliefert werden. Während der Hochphase der ersten Corona-Welle gab es sogar einen Exportstopp für alle in Indien hergestellten Arzneimittel. Glücklicherweise wurde dieser nicht lange aufrechterhalten, denn das hätte schlimme Folgen für die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln in Deutschland zur Folge: Viele Wirkstoffe, auch aus der Gruppe der Antibiotika, werden mittlerweile ausschließlich in Indien oder China hergestellt.   

Fließen solche Risiken in Ihre Entscheidungen ein?
Dr. Renz: Es wird bei der Einkaufsentscheidung positiv bewertet, wenn die Produktion des Wirkstoffs und des Arzneimittels in der EU stattfindet: Dann ist die Wahrscheinlichkeit solcher Unterbrechungen geringer. Das heißt aber nicht, dass in der EU hergestellte Arzneien immer 100-prozentig verfügbar sind. Zurzeit gibt es beispielsweise einen Engpass bei Actilyse von Boehringer Ingelheim, ein Notfall-Medikament für die fibrinolytische Behandlung bei akutem ischämischen Schlaganfall. Actilyse wird in einem einzigen Werk in Deutschland hergestellt; dessen Kapazität reicht zur Zeit nicht mehr aus, die weltweit gestiegene Nachfrage zu decken.

Das heißt, Sie haben oft gar keine Wahl…
Dr. Renz: Deutschland war einmal die Apotheke der Welt. Doch das trifft schon lange nicht mehr zu, weil es bei Arzneimitteln einen enormen Kostendruck gibt und die Produktion in Deutschland teuer ist. Der führt dazu, dass Hersteller Produktionsorte zusammenlegen oder ins Ausland verlagern, weil dort Arbeitskräfte günstiger sind, Umweltauflagen vielleicht weniger streng kontrolliert werden und Genehmigungsprozesse einfacher und schneller laufen. Das kann zur Folge haben, dass bestimmte Wirkstoffe nur noch in einem einzigen Werk weltweit hergestellt werden. Bei Problemen in der Produktion gibt es als Folge diesen Wirkstoff eben weltweit dann nicht mehr – und damit alle Medikamente, die daraus hergestellt werden.

Könnten die Hersteller die Produktion nicht einfach in ein anderes Werk verlagern?
Dr. Renz: Nein. Die Prozesse in der Wirkstoff- und Arzneimittelherstellung sind sehr anspruchsvoll und haben höchste Qualitätsauflagen zu erfüllen. Das kann man nicht so einfach verlagern. Wenn man die Produktion solcher Wirkstoffe in Deutschland neu aufbauen wollte, würde es einige Jahre dauern.

Wenn in den Kaufhäusern Regale leer blieben, lag das nicht immer an wirklichem Mangel, sondern an Hamsterkäufen. Gibt es die auch in der Arzneimittelbranche?
Dr. Renz: In der Hochphase der Corona-Pandemie mag es Einzelfälle gegeben haben. Aber ich glaube nicht, dass Hamsterkäufe jetzt noch eine Rolle spielen. Hinzu kommt, dass  die Lager der Pharmaindustrie in der Regel keine große Reichweite haben – denn eine zu große Bevorratung birgt das Risiko, möglicherweise abgelaufene Medikamente kostenpflichtig entsorgen zu müssen.

Was unterscheidet eine Klinikapotheke wie Ihre von der Apotheke ums Eck?
Dr. Renz: Die Apotheke, die der Bürger kennt, hat ein sehr breites Sortiment aus vielen unterschiedlichen Präparaten, hat davon in der Regel aber nur ein oder zwei Packungen vorrätig. Wir haben vergleichsweise wenige unterschiedliche Präparate – etwa 1100, die von der interdisziplinär zusammengesetzten Arzneimittelkommission des Klinikums bestimmt werden. Mit diesen Präparaten können die im Krankenhaus auflaufenden Therapien erfolgreich und kostengünstig durchgeführt werden. Bei uns geht es aber um große Mengen. Viele Medikamente werden wie bei Discountern direkt von der Palette kommissioniert. Noch ein Unterschied: Wir kaufen in der Regel nicht beim Großhandel ein wie die öffentliche Apotheke, sondern direkt beim Hersteller, weil wir die Preise frei verhandeln dürfen.

Welche Arzneimittel stellen Sie selbst her?
Dr. Renz: Der sogenannte GMP-Herstellungsbereich der Apotheke ist in zwei große Abteilungen aufgeteilt. In der Zytostatika-Abteilung werden für Patient*innen individuell dosierte, sterile parenterale Zubereitungen von Zytostatika hergestellt.

Sie sprechen von Medikamenten, die im Kampf gegen Krebs eingesetzt werden.
Dr. Renz: Richtig. Die Dosierung der Infusionslösung wird individuell in der Regel anhand von Körpergröße und Gewicht der jeweiligen Personen berechnet. Dieser Bereich ist räumlich abgetrennt, weil Zytostatika für gesunde Menschen nicht ungefährlich sind. Darum sind aufwendige technische organisatorische und personelle Vorkehrungen erforderlich – sowohl um die sterile aseptische Zubereitung unter Reinraumbedingungen zu gewährleisten, als auch um den Schutz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sicherzustellen.

Und der andere Bereich?
Dr. Renz: Dort stellen wir Salben, Cremes, Augentropfen sowie Injektions- und Infusionslösungen her – im Prinzip nahezu das gesamte pharmazeutische Sortiment. Dazu nutzen wir einen hochmodernen GMP-konformen Herstellungsbereich, der 2016 nach erfolgreicher Abnahme durch die Regierung von Oberbayern in Betrieb gegangen ist.

 

 

Dr. Helmut Renz, Chefapotheker des Klinikums rechts der Isar der TUM

Dr. Helmut Renz, Chefapotheker des Universitätsklinikums rechts der Isar, vor einer vollautomatischen Kommissionieranlage der Apotheke. Foto: Kathrin Czoppelt, Klinikum rechts der Isar

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