Neue Spezialambulanz für Patient*innen mit Angst- und Zwangsstörungen

Neue Spezialambulanz für Patient*innen mit Angst- und Zwangsstörungen

Rund 15 Prozent aller Menschen leiden im Laufe eines Jahres an einer Angst- oder Zwangsstörung. Keine Seltenheit also. Doch die Betroffenen sind „in unserem Gesundheitssystem eklatant unterversorgt“, sagt Prof. Michael Kellner vom Universitätsklinikum rechts der Isar. Seine neue Spezialambulanz an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie schafft hier Abhilfe – und treibt die Forschung auf dem Gebiet voran. 

Sie quälen sich durch den Alltag, sie bekommen Panik, wenn sie alleine sind oder wenn sie jemand Fremdes anspricht: Menschen mit Angst- und Zwangsstörungen haben ihre Emotionen nicht mehr im Griff, aber dennoch müssen sie oft jahrelang auf professionelle Hilfe warten. Dabei sind solche Erkrankungen kein Nischenproblem, sagt Prof. Michael Kellner vom Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM): 15 von 100 Menschen seien davon im Jahr betroffen. Prof. Kellner leitet die neue Spezialambulanz an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Angst- und Zwangsstörungen seien keine Marotten, sondern ernst zu nehmende Erkrankungen, warnt er. Sie sollten behandelt werden, bevor sie chronisch würden oder schwere Depressionen bis hin zur Suizidgefahr nach sich zögen.

Natürlich sei nicht jede Furcht krankhaft, sagt Prof. Kellner. Vielmehr sei Angst zunächst einmal „eine gesunde Emotion“: Sie helfe uns, Gefahren zu meiden. Kritisch werde es, „wenn die Angst sich nicht mehr zurückreguliert, wenn sie grundlos kommt und unangemessen stark ist“, erklärt der Mediziner. „Dann könnte es sein, dass dahinter eine Angststörung liegt.“ Und diese könne in unterschiedlichen Formen auftreten – verbreitet sei etwa die Panikstörung, die Agoraphobie, die Soziale Phobie und die generalisierte Angststörung (siehe Information „Die häufigsten Angststörungen“ weiter unten).

Zwangsstörungen bergen ein hohes Risiko chronisch zu werden

Das zweite große Feld, dem sich Prof. Kellners Spezialambulanz widmet, sind Zwangsstörungen. Sie betreffen nur ein bis zwei Prozent der Bevölkerung, bergen aber ein hohes Risiko, chronisch zu werden. Solche Störungen äußerten sich in Zwangshandlungen, etwa dem ständigen Händewaschen, oder in Zwangsgedanken. Auch hier gilt wieder: In leichter Form („Habe ich den Herd wirklich ausgeschaltet?“) kennt solche Gedanken jeder. „Aber wenn so etwas stundenlang anhält, bekommt es Störungsqualität“, sagt Prof. Kellner. Mitunter quälen sich die Betroffenen mit abstrusen Befürchtungen – etwa: Sie könnten mit dem Auto jemanden angefahren haben, der nun schwer verletzt neben der Straße liegt. Gerade für diese Patientengruppe gebe es kein ausreichendes Versorgungsangebot, kritisiert Prof. Kellner. Dabei verfüge die Medizin seit Ende der 1990er-Jahre über Medikamente und Therapiemethoden, die zwar selten Heilung, wohl aber ein weitgehend zwangsfreies Leben ermöglichen können.

Patient*innen, die in Prof. Kellners Ambulanz vorstellig werden – egal ob aus eigenem Antrieb oder mit Überweisung von Hausärzt*innen – erhalten nach einem ausführlichen Eingangsgespräch eine fundierte Differenzialdiagnose und einen Arztbericht mit Experteneinschätzung zur weiteren Behandlung. Mit ein bis zwei Therapieterminen will Prof. Kellner dann die mitunter quälend lange Zeit überbrücken, bis die Patient*innen bei niedergelassenen Therapeut*innen Hilfe finden.

Angststörungen bleiben bei vielen Patient*innen unerkannt

„Wir gehen davon aus, dass viele Angstgestörte unerkannt bei ihren Hausärztinnen und Hausärzten sind“, sagt Prof. Kellner. „Da sehen wir Potenzial für Verbesserungen.“ Wichtig ist laut Prof. Kellner vor allem eine fachkundig durchgeführte verhaltenstherapeutische Psychotherapie. Sie verspreche insbesondere bei Angststörungen hervorragende Erfolge. Zentrales Element dabei sei die Exposition: Die Patient*innen müssen sich nach guter Vorbereitung und unter Expertenanleitung ihren Ängsten stellen und sie überwinden. „Die Angst ist erlernt – und man kann sie unter guter Anleitung auch wieder verlernen“, erklärt Prof. Kellner. Flankierend helfe den Betroffenen oft die Mitarbeit in Selbsthilfegruppen oder auch eine Sporttherapie.

Wie Phobien entstehen, ist noch nicht abschließend erforscht. Es gebe klare Indizien für eine genetische Veranlagung, sagt Prof. Kellner. „Das allein heißt aber nicht, dass die Erkrankung klinisch werden muss.“ Eine große Rolle spielten auch die Bedingungen, unter denen ein Mensch aufwächst, etwa wie gut sein Grundvertrauen sich entwickeln konnte. Auch frühe Trennungsereignisse stehen im Verdacht, die Entstehung von Angststörungen zu begünstigen. Es gibt also noch viele Fragen, denen sich Prof. Kellner in seiner Spezialambulanz widmen will. Und er freut sich, dass er bei Forschungsprojekten die Gelegenheit hat, einzelne Patient*innen auch länger zu betreuen. Sein großes Ziel: Die Menschen, die zu ihm kommen, in ein Leben ohne krankhafte Angst zu begleiten. 

 

Studienteilnehmer*innen gesucht: Aktuell nimmt Prof. Michael Kellner noch Proband*innen mit Agoraphobie oder Zwangsstörung in einer Studie auf, die eine sehr wichtige Frage klären soll: Welchen Einfluss hat es, zu welcher Tageszeit die Expositionstherapie durchgeführt wird? Es gebe Hinweise darauf, dass der Cortisolspiegel den Erfolg der Therapie beeinflusse, und dieser Spiegel schwanke im Tagesverlauf sehr stark, sagt Prof. Kellner. Die Studie soll Erkenntnisse liefern, auf deren Basis die Therapie von Angststörungen perfektioniert werden kann. Interessenten melden sich bitte bei der Spezialambulanz Angst & Zwang, Telefon 089/4140-4241 (Mo-Fr 8.30 -16.00 Uhr).

 

Prof. Michael Kellner leitet die neue Spezialambulanz Angst und Zwang an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums rechts der Isar. Foto: Kathrin Czoppelt, Klinikum rechts der Isar

Prof. Michael Kellner leitet die neue Spezialambulanz Angst und Zwang an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums rechts der Isar. Foto: Kathrin Czoppelt, Klinikum rechts der Isar

Die häufigsten Angststörungen

Panikstörung/Agoraphobie: Betroffene erleiden plötzliche Angstattacken, die sich oft körperlich anfühlen. „Die Leute haben beispielsweise Angst, dass mit dem Herzen etwas nicht stimmt – oder dass sie ersticken“, erklärt Prof. Michael Kellner. Wenn sie dann etwa Puls und Blutdruck messen, sind die Werte erhöht, was als Indiz gewertet wird, dass die Angst begründet ist. „Wenn das häufig vorkommt, wird die Lebensqualität deutlich eingeschränkt“, sagt Prof. Kellner. Zumal viele Patient*innen Vermeidungsstrategien entwickeln: „Sie wollen nicht mehr allein bleiben, meiden unbekanntes Terrain oder Orte, wo sie nicht so schnell Hilfe finden würden.“ U-Bahn-Fahrten, Restaurant- und Kinobesuche, selbst einen Spaziergang durch die Fußgängerzone wagen die Patient*innen dann allenfalls noch mit vertrauten Begleiter*innen. Plätze mit Menschenmengen empfinden sie oft als ebenso bedrohlich wie leere Plätze. „Das Leben wird ärmer und die Leute sind von Hilfspersonen abhängig“, resümiert Prof. Kellner. Agoraphobie, auf Deutsch Platzangst, nennt der Fachmann dieses Phobie-Spektrum.

 

Soziale Phobie: „Die Betroffenen haben Angst vor sozialen Situationen, in denen man Ablehnung oder Beschämung erfahren könnte“, erklärt Prof. Michael Kellner. „Das fängt meist schon in der Schulzeit an, wenn man an die Tafel vorgerufen wird. Sie haben auch Schwierigkeiten im Kontakt, insbesondere mit fremden Menschen. Das ist für viele Berufe extrem einengend.“ Ferner gibt es Phobien mit einzelnen, klar definierten Reizen, wie etwa Höhenangst oder die Angst vor Spritzen.

 

Generalisierte Angststörung: „Das sind meist etwas übernervöse Menschen, die immer wiederkehrende Sorgen haben“, sagt Prof. Michael Kellner. „Zum Beispiel, dass den Angehörigen etwas zustößt. Da gibt es Mütter, die ihre Kinder andauernd anrufen, um sich zu vergewissern, dass es ihnen gut geht.“ Jeder Mensch kenne solche Sorgen in leichter Form. Zum Problem würden sie, wenn sie nicht mehr weichen wollen und schließlich das Leben bestimmen. Die Grenzlinie verdeutlicht der Experte am Beispiel der Furcht vor Spinnen: „Ganz viele Leute sehen Spinnen ungern und bitten dann jemanden, das Tierchen mit einem Glas wegzuschaffen. Doch bei einer wirklichen Spinnenphobie können die Leute nicht mehr schlafen, wenn sie nicht vorher eine Stunde lang das ganze Zimmer abgesucht haben.“

Beteiligte Fachbereiche und Kliniken: 

Klinik und Poliklinik für

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