„Das Prinzip Zufall kann Probleme lösen“
„Das Prinzip Zufall kann Probleme lösen“
„Warum wir Innovationen in Wirtschaft und Politik dringend brauchen“, erklärt Isabell Welpe, Professorin für Strategie und Organisation, bei den Covid-19 Lectures am 12. Mai. Im Interview gibt sie einen ersten Einblick, welche neuen Methoden in Führung und Governance sich nach der Pandemie durchsetzen könnten.
Die Pandemie hat gezeigt, wo Deutschland bei Innovationen hinterherhinkt. Warum sehen Sie dabei auch Probleme bei Governance und Führung in Politik und Wirtschaft?
Die Innovation unserer politischen Systeme, unserer Governance- und Führungsmodelle ist mindestens so wichtig wie Innovationen bei Geschäftsmodellen, die wir ja schon viel länger diskutieren. Es findet aber relativ wenig öffentliche Auseinandersetzung darüber statt, welche Anpassungen für politische und andere Steuerungssysteme aufgrund von Digitalisierung notwendig werden. Der Abstand zu den technologischen Entwicklungen wird dabei immer größer. Aber exponentieller Technologiefortschritt muss eben auch ähnlich dynamisch in Wirtschafts- und Politiksystemen abgebildet sein. Das sieht man zum Beispiel daran, dass die allermeisten Menschen in Europa Demokratie für eine hervorragende Staatsform halten, allerdings gleichzeitig die Mehrzahl sagt, dass diese gerade nicht mehr gut funktioniert.
Inwieweit kann diese Unzufriedenheit mit der digitalen Transformation zusammenhängen?
Empirische Daten zeigen, dass die Bürgerinnen und Bürger eine größer werdende Kluft wahrnehmen, wie sie als Kundinnen und Kunden von Unternehmen behandelt werden und wie von ihrer staatlichen Verwaltung. In der Wirtschaft sehen wir ja, dass Unternehmen immer stärker nicht nur Produkte und Dienstleistungen verkaufen wollen, sondern zum Ziel haben, die individuellen Probleme ihrer Kundinnen und Kunden mit digitalen Mitteln zu lösen – so schnell wie möglich und an den Orten, an denen sie auftreten. Das steht in einem gewissen Gegensatz zum Umgang von Behörden mit ihren Bürgerinnen und Bürgern. Die gute Nachricht ist, dass es viele innovative und vielversprechende Ansätze gibt, die nur noch nicht die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit haben, die sie eigentlich verdienen.
Welche Methoden könnten denn helfen?
Man könnte zum Beispiele Anreize für Verwaltungsmitarbeitende und Politik schaffen, indem man die Bürgerinnen und Bürger mit Geld-Gutscheinen für staatliche Leistungen ausstattet. Diese können die Bürgerinnen und Bürger dann dort ausgeben, wo sie wollen, was ein wenig mehr Wahlmöglichkeiten und Wettbewerb zwischen Schulen, Verwaltungsbehörden oder Impfzentren bringen würde. Auch das Prinzip Zufall könnte eine Reihe von Problemen lösen: Führungskräfte könnten nicht ausschließlich, aber auch durch Zufallsentscheidungen gewählt werden, was zum einen die Repräsentativität politischer Vertreterinnen und Vertreter erhöhen und zum anderen Nepotismus und Hybris vorbeugen sowie Außenseiterinnen und Außenseitern Chancen geben würde. Die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an der Erarbeitung von Verwaltungsvorschriften wird genauso diskutiert wie sogenannte Dritte Kammern als Ergänzung in politischen Entscheidungsprozessen. Es gibt sogar demokratische Lösungsansätze, um die im Durchschnitt sieben Jahre andauernden Planungsfeststellungsverfahren stark zu verkürzen.
Die Vorlesungen im Rahmen der Reihe "Covid-19 Lectures" starten jeweils mittwochs um 18:15 Uhr und werden sowohl per Online-Meeting (Zoom) übertragen als auch per Live-Stream. Zum Live-Stream der Covid-19 Lecture am 12.5.2021 (YouTube)
Programm der Covid-19 Lectures (TUM)
Professor Isabell Welpe erläutert in ihrer Covid-19 Lecture, warum Innovationen in Wirtschaft und Politik wichtig sind.
Foto: Faces by Frank / TUM