Deutsche Hormonwoche: Nutzen und Risiken der Antibabypille
Deutsche Hormonwoche: Nutzen und Risiken der Antibabypille
Vom 12. bis 19. September 2020 hat die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) die "Deutsche Hormonwoche" ausgerufen, um hormonell bedingte Erkrankungen stärker in den Fokus zu rücken. Professor Dr. Vanadin Seifert-Klauss, Leitende Oberärztin der Gynäkologischen Endokrinologie am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München, sprach bei einer Online-Pressekonferenz der DGE über Nutzen und Risiken der „Pille“.
Professor Dr. Vanadin Seifert-Klauss, Leitende Oberärztin der Gynäkologischen Endokrinologie am Klinikum rechts der Isar
Pille immer noch das häufigste Verhütungsmittel
Seit ihrer Markteinführung im Jahr 1960 in den USA nehmen weltweit täglich über 100 Millionen Frauen die „Pille“. Das sind etwa neun Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter. Unter der „Pille“ versteht man im Allgemeinen ein Östrogen-Gestagen-Kombinationspräparat (kombinierte orale Kontrazeptiva (KOK). Wenn es, wie heute meist üblich, niedrig dosiert ist, wird es als Mikropille bezeichnet. Daneben gibt es reine Gestagen-Produkte, die sogenannten Minipillen oder Gestagenpillen.
Anwenderinnen-Zahlen gehen zurück
In Deutschland ist die „Pille“ das nach wie vor am häufigsten verwendete Verhütungsmittel. Doch aktuelle Auswertungen der gesetzlichen Krankenversicherungen AOK (1) und Techniker Krankenkasse (2) zeigen, dass besonders unter den jungen Frauen die Anwender-Zahlen zurück gehen. So ist der Anteil der Pillen-Verordnungen bei den bei der AOK versicherten Mädchen und Frauen im Alter bis zu 20 beziehungsweise 22 Jahren von 46 Prozent im Jahr 2010 auf 31 Prozent im Jahr 2019 gesunken. Seit Mitte 2019 übernimmt die gesetzliche Krankenversicherung die Kosten für die „Pille“ bis zum Alter von 22 Jahren. „Immer mehr lehnen heute diesen Eingriff in die natürlichen Vorgänge ihres Körpers ab“, sagt Professor Seifert-Klauss. „Hinzu kommen verunsichernde Berichte, etwa über Thrombosen oder Depressionen im Zusammenhang mit der Anwendung.“
„Bezüglich eines erhöhten Thromboserisikos ist richtig, dass der synthetische Östrogen-Anteil in KOK generell dieses Risiko im Vergleich zu jungen Frauen, die nicht hormonell verhüten, erhöht“, so Professor Seifert-Klauss. Es gebe zudem Hinweise, dass die modernen KOK-Präparate der 3. und 4. Generation – insbesondere jene mit dem künstlichen Gestagen Drospirenon – sowie die Langzeit- Einnahme von KOK die Thrombosegefahr möglicherweise weiter erhöhen. „Dennoch bewegt sich das Risiko eines Gefäßverschlusses durch die Pille auf einem generell niedrigen Niveau.“ Bei Schwangeren oder erst recht bei Frauen untermittelbar nach der Geburt eines Kindes sei die Wahrscheinlichkeit der Bildung eines Blutgerinnsels, das die Gefäße verstopfe, um ein Vielfaches höher, so die Ärztin.
Doch um über Nutzen und Risiken der „Pille“ aufzuklären und zu möglichen individuellen Nebenwirkungen und den Umgang mit ihnen zu beraten, brauche es Zeit für die Anamnese und ärztliche Kompetenz. „Die sprechende Heilkunde bleibt zugunsten der operativen Medizin auf der Strecke“, kritisiert Professor Seifert-Klauss. „Da ist es dann kein Wunder, dass Patientinnen sich von hormoneller Verhütung abwenden“, findet die Fachärztin für Gynäkologische Endokrinologie.
Pille wirkt auch gegen hormonelle Beschwerden
Dabei habe die Pille – eine korrekte Einnahme und gesundheitliche Eignung der Patientinnen vorausgesetzt– viele Vorteile: Sie verhüte sicher vor einer ungewollten Schwangerschaft und sei komfortabel in der Anwendung. Weniger im Fokus der Öffentlichkeit, aber nicht minder wichtig seien auch die zahlreichen therapeutischen Wirkungen von hormoneller Verhütung. „Viele hormonell verursachten weiblichen Beschwerden werden bei der Einnahme ganz „nebenbei“ behandelt“, erläutert Professor Seifert-Klauss und zählt Beispiele auf: etwa eine Blutarmut durch zu starke Monatsblutungen, eine unregelmäßige Periode, Zystenbildung der Eierstöcke, Endometriose, Hautunreinheiten und vieles mehr könnten gelindert oder sogar behoben werden. „Manche Patientinnen nehmen die „Pille“ sogar weniger zur Verhütung als aus medizinischen Gründen.“ Am Ende des Tages, so die DGE-Expertin, komme es darauf an, für jede Patientin den Nutzen der Pille gegen die Risiken abzuwägen.