Wie unterstützen Sie psychisch belastete Geflüchtete?
Im Frühjahr 2022 ging es uns zunächst darum, einen Ort zu schaffen, wo Betroffene eine erste Krisenintervention, diagnostische Einschätzung und psychotherapeutische Unterstützung in ihrer Muttersprache erhalten. Wir helfen den Menschen dabei, eigene Ressourcen zu erkennen und zu nutzen. Wir unterstützen sie dabei, mit Verlust und Trauma umzugehen und vermitteln auch an niedergelassene Fachkolleg*innen und Beratungsstellen zu Themen wie Erziehung, Sucht, Wohn- und Sozialhilfe. Eine langfristige Psychotherapie können wir in unserer Ambulanz leider nicht anbieten. Oft reichen aber schon wenige Termine, um Patient*innen ausreichend Stabilität zu geben und ihnen dann weitere Hilfe zu vermitteln. In besonders schweren Fällen stehen wir auch für die weitere Begleitung und Unterstützung zur Verfügung.
Die meisten Geflüchteten kamen vor allem wegen medizinischer Probleme ins Universitätsklinikum …
Ja, wobei wir schnell gemerkt haben, dass auch bei diesen Patient*innen psychotherapeutische Unterstützung auf Ukrainisch und Russisch dringend gebraucht wurde. Denn Kolleginnen und Kollegen verschiedener Stationen hatten sich an uns gewendet. Daher haben wir unser Angebot um einen psychosomatischen Konsiliardienst auf Ukrainisch und Russisch erweitert. Dabei geht es in erster Linie um Angstreduktion, psychotherapeutische Unterstützung, aber auch um Konfliktmanagement aufgrund kultureller oder sprachlicher Kommunikationsprobleme. Sie müssen sich vorstellen: Manchmal werden Patient*innen direkt nach schlimmsten Erlebnissen, Körperverletzungen, Verlust von Angehörigen oder einer anstrengenden, gefährlichen Flucht bei uns stationär behandelt. Sie verstehen die Sprache nicht, sind psychisch belastet und verängstigt. Sie verstehen nicht, wo sie sind und was mit ihnen gemacht wird. Das ist eine höchst belastende Situation. Wir versuchen diese Patient*innen psychotherapeutisch zu unterstützen und auf dem Weg der Genesung zu begleiten – und in manchen Fällen, wenn es um eine palliative Begleitung geht, auch auf dem Weg eines würdevollen Sterbens.
Viele Geflüchtete sorgen sich auch um Angehörige, die sie im Kriegsgebiet zurücklassen mussten. Wie lernt man, besser mit dieser Angst zurechtzukommen?
Es ist in der Tat enorm schwer, selbst in Sicherheit zu sein, aber keinen Einfluss auf die Sicherheit von Eltern, Kindern, Verwandten, Freunden oder auch Haustieren zu haben, die aus verschiedensten Gründen nicht ausreisen wollten oder mitgenommen werden konnten. Dazu kommt, dass viele zwar mittels Luftalarmwarn-App oder Social Media-Nachrichten über Gefahren in der Ukraine informiert bleiben, der Kontakt zu den Angehörigen aber oft nicht möglich ist. Sie wissen dann nicht, wo Angehörige und Freunde gerade sind und ob sie überhaupt noch leben. Das ist sehr belastend und ein wichtiges Thema auch in unseren Stunden. Manchmal hilft es unseren Patient*innen eine Art der inneren Verbindung mit den Menschen dort herzustellen, gewisse Rituale im Alltag einzubauen und unterstützende Vereinbarungen mit Verwandten vor Ort zu treffen. Die Angst bleibt trotzdem: Sie können sie nicht loswerden. Sie können nur versuchen, zu lernen, mit ihr weiterzuleben.
Die Sprechstunde richtet sich auch an Helferinnen und Helfer. Warum kommen auch sie manchmal an ihre Grenzen?
Dafür sehe ich mehrere Gründe: Einerseits sind viele Helfende sehr empathische Menschen; Sie fühlen sich angesprochen zu helfen, nehmen aber auch die eigene Ohnmacht wahr. Wenn sie dann Tag für Tag eng mit Betroffenen arbeiten und sich emotional nicht ausreichend abgrenzen können, steigt die Gefahr einer sekundären Traumatisierung oder ähnlicher Folgen. Wir haben festgestellt, dass Dolmetscher*innen oder Volontär*innen in sozialen und medizinischen Bereichen davon besonders oft betroffen sind. Dazu kommt, dass viele Helfende durch den Krieg gegen die Ukraine an eigene traumatische Erfahrungen erinnert wurden oder an die der eigenen Familie. Für Helfende ist es wichtig, ausreichend Selbstreflektion zu betreiben: Man muss sich klar werden, was einen zum Helfen bewegt. Man muss aber auch lernen, eigene Kräfte und Grenzen gut einschätzen zu können. Dabei hilft Supervision oder Intervision. Nicht zuletzt liegt es auch daran, dass wir alle beim Thema Krieg Gefühle wie Ohnmacht, Hilfslosigkeit, Angst und Kontrollverlust erleben – und somit in Kontakt mit unseren größten Ängsten kommen. Krieg missachtet und zerstört jegliche Grenzen. Daher ist es wichtig, Räume zu finden, wo man Gefühle erleben und aussprechen darf. Eine Psychotherapie in Einzel- oder Gruppenform bietet meist einen guten Raum dafür.