Experten-Interview zum Weltpankreaskrebstag am 17. November
Experten-Interview zum Weltpankreaskrebstag am 17. November
Bauchspeicheldrüsenkrebs ist ein besonders aggressiver Krebs. Doch es gibt auch Hoffnung, sagt Prof. Dr. Helmut Friess, Direktor der Klinik und Poliklinik für Chirurgie am Universitätsklinikum rechts der Isar, im Interview. Seine Botschaft zum Weltpankreaskrebstag am 17. November: „Wer heute die Diagnose Pankreaskrebs bekommt, sollte nicht gleich allen Lebensmut verlieren. Etwa 30 bis 40 Prozent der Betroffenen, bei denen der Tumor komplett entfernt wurde, leben mittlerweile länger als fünf Jahre. Und je früher der Krebs entdeckt wird, umso besser werden die Chancen.“ Daher sollte man Vorsorgemaßnahmen wirklich nutzen.
Pankreaskrebs ist oft ein Todesurteil. Gibt es auch Hoffnung?
Prof. Friess: Ja! Und zwar dann, wenn die Tumoren noch auf die Bauchspeicheldrüse beschränkt, also lokalisiert sind. In solchen Fällen besteht prinzipiell die Chance auf Heilung – wenn man den Tumor radikal wegoperiert und zusätzlich eine Chemotherapie macht. Leider jedoch wird die Erkrankung meist spät diagnostiziert. Auch wenn die Betroffenen gerade erst Symptome entwickeln, ist die Erkrankung oftmals schon fortgeschritten. Wenn der Tumor erst einmal aus der Bauchspeicheldrüse in andere Organe ausstreut, bleibt meist nur noch eine Chemotherapie mit mäßigen Erfolgsaussichten.
Es ist also ein Rennen gegen die Zeit?
Prof Friess: Absolut, man muss daher auf die Symptome frühzeitig und richtig reagieren. Die meisten Patientinnen und Patienten klagen über unspezifische Oberbauchschmerzen oder Rückenschmerzen. Die werden dann erst mal zum Orthopäden geschickt, oder der behandelnde Arzt vermutet eine Magenverstimmung und verordnet etwas gegen Magensäure. Das hilft nur kurzzeitig und es geht wertvolle Zeit verloren. Man muss bei diesen unspezifischen Symptomen einfach auch an den Bauchspeicheldrüsenkrebs denken, vor allem bei Betroffenen ab dem 60. Lebensjahr.
Ist die Bauchspeicheldrüse ein Organ wie jedes andere oder bringt sie besondere Schwierigkeiten mit sich?
Prof Friess: Es ist ein anspruchsvolles Organ. In der Mitte der Bauchspeicheldrüse läuft bis zum Zwölffingerdarm ein Gang, durch den der Bauchspeicheldrüsensaft abgeleitet wird. Wenn man nur einen Teil der Bauchspeicheldrüse wegschneidet, muss man diesen Gang wieder mit dem Darm verbinden. Diese Nahtverbindung ist sehr schwierig, weil das Bauchspeicheldrüsengewebe so weich ist, dass die Nähte sehr leicht einreißen und die Verbindung dann leckt. Dann wird aus einem kleinen Problem schnell ein großes, an dem die Patientinnen und Patienten auch sterben können. Deshalb sind Bauchspeicheldrüsen-OPs immer sehr gefährlich. Interessanterweise wird es für uns Chirurginnen und Chirurgen leichter, wenn der Bauchspeicheldrüsengang durch einen Tumor abgedrückt wird. Dann staut sich der Pankreassaft, und das wiederum führt zu einer chronischen Entzündung, wodurch sich die Organstruktur verändert: Sie enthält mehr Bindegewebe. Das kann man zwar besser nähen, aber es mindert zugleich die Funktion des Organs.
Also sollten nur echte Expertinnen und Experten operieren?
Prof Friess: Es ist sehr wichtig, dass man eine Operateurin oder einen Operateur hat, der diese Art von OPs häufig und regelmäßig durchführt. Nur mit viel Erfahrung kann man das gut und sicher machen. Neben der schwierigen Naht kommt ja noch etwas anderes hinzu: Die Bauchspeicheldrüse liegt sehr tief im Körper, und sie ist von wichtigen Gefäßen umgeben, die man nicht einfach wegschneiden kann. Man kann das mit einer Reparatur in einem Sicherungskasten vergleichen: Man darf bei der Arbeit keine Leitung verletzen, sonst wird es gefährlich. Häufig wächst der Tumor in Richtung der Schlagader, die den ganzen Darm mit Blut versorgt. Nur Chirurginnen und Chirurgen mit sehr viel Erfahrung können den Tumor radikal ohne Tumorrest entfernen, ohne diese Schlagader zu verletzen.
Pankreas-Patientinnen und -Patienten sollten also stets in spezialisierte Kliniken gehen statt ins wohnortnahe Krankenhaus?
Prof Friess: Auf jeden Fall. Auch der Gesetzgeber hat darauf ja reagiert und Mindestzahlen festgelegt. Das gibt es in der Bauchchirurgie für zwei Operationen: Speiseröhren- und Pankreasoperationen. Für Pankreas-OPs ist die Mindestzahl vor Kurzem von zehn auf 20 Eingriffe pro Jahr erhöht worden. Wer diese Zahlen nicht erreicht, darf solche Eingriffe nicht mehr durchführen.
Wie viele Pankreas-Operationen führen Sie im Universitätsklinikum rechts der Isar durch?
Prof Friess: Bei uns sind es etwa 140 Operationen im Jahr.
Ihre Chirurgische Klinik und Poliklinik ist von der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) als Exzellenzzentrum für
Pankreas ausgewiesen und von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) als Darm- und Pankreaszentrum auditiert worden. Was
machen Sie besser als andere?
Prof Friess: Pankreaszentren gibt es heute in vielen Krankenhäusern. Der Begriff Zentrum ist ja nicht geschützt. Die Zertifizierung zeigt, dass das Zentrum strenge Anforderungen erfüllt. Die DGAV hat drei Zentrums-Graduierungen. Das Exzellenzzentrum ist die höchste Stufe, und da stellt die Fachgesellschaft auch die höchsten Qualitätsansprüche. Nicht jede Chirurgin und jeder Chirurg, der bei mir in der Klinik arbeitet, darf Pankreas operieren. Das ist auf wenige Personen beschränkt. Genauso gibt es Ansprüche an die Weiterbildung, und es ist festgelegt, dass die Ergebnisse unserer Operationen erfasst, ausgewertet und mit denen anderer Zentren verglichen werden. Da steht ganz klar die Qualität des Gesamtprozesses im Vordergrund, also wie Patientinnen und Patienten mit ihrer Erkrankung durch ein Krankenhaus geschleust werden. Die OP ist natürlich ein Kernelement in dieser Qualitätskette, aber auch die postoperative Versorgung ist sehr wichtig.
Muss auch das Pflegepersonal speziell für die Betreuung von Pankreaspatientinnen und -patienten geschult sein?
Prof Friess: Ja, das ist ein ganz wichtiger Aspekt. Der ganze Prozess muss aufeinander abgestimmt sein. Es nützt nichts, wenn Chirurginnen und Chirurgen die OP beherrschen, aber alle anderen verstehen von der Krankheit und den potenziellen Komplikationen wenig. Dort, wo sie hohe Fallzahlen haben, ist das Personal ganz besonders geschult, vom ärztlichen Personal über die Pflege bis hin zur Küche.
Was sind die häufigsten Erkrankungen, die einen Eingriff an der Bauchspeicheldrüse nötig machen?
Prof Friess: Am häufigsten operieren wir wegen einem bösartigen Tumor an der Bauchspeicheldrüse. Es gibt auch gutartige Tumore, die sich im Lauf der Zeit in bösartige umwandeln können. Daneben kann eine akute und chronische Entzündung der Bauchspeicheldrüse eine Operation erforderlich machen.
Wird das Organ dann komplett entfernt?
Prof Friess: Man versucht immer, möglichst viel von dem Organ zu erhalten und nur das zu entfernen, was weg muss. Denn das bedeutet auch, dass die Funktionen der Bauchspeicheldrüse zumindest teilweise erhalten bleiben. Die eine ist die Verdauung: Der Verdauungssaft, den die Drüse abgibt, ist wichtig, damit die Nahrung gut aufgespalten wird und ihre Bestandteile in den Körper aufgenommen werden können. Wenn Sie keine Bauchspeicheldrüse haben, verhungern Sie, auch wenn Sie viel essen.
Und die zweite Funktion?
Prof. Friess: Die zweite Funktion der Bauchspeicheldrüse ist die Blutzuckerregulation – Stichwort Diabetes mellitus. Immer, wenn ein Stück Bauchspeicheldrüse im Körper verbleibt, ist die Gefahr der Entwicklung eines Diabetes mellitus verringert. Und wenn man ihn trotzdem bekommt, lässt er sich einfacher behandeln, weil man noch eine Rest-Insulinsekretion im Körper hat. Wie gut diese Funktionen erhalten bleiben, lässt sich vorab aber ganz schwer abschätzen.
Wie ist Ihre Botschaft zum Weltpankreaskrebstag?
Prof Friess: Wir müssen mehr tun, um das Pankreaskarzinom ins Bewusstsein zu rufen. Die Erkrankung hat in der Öffentlichkeit einen geringen Stellenwert, weil prominente Personen sich kaum dafür öffentlich engagieren. Entweder geht es den Betroffenen sehr schlecht, dann haben sie andere Sorgen, oder sie wollen aus Sorge um ihre Stellung nicht, dass die Diagnose bekannt wird. Die Bauchspeicheldrüsenkrebs-Forschung ist unterfinanziert, obwohl es in Zukunft die zweithäufigste Krebstodesursache sein wird. In die Forschung muss daher mehr Geld fließen – und auch in die Weiterentwicklung von Behandlungsoptionen.
Prof. Dr. Helmut Friess, Direktor der Klinik und Poliklinik für Chirurgie am Universitätsklinikum rechts der Isar. Foto: Klinikum rechts der Isar