Die ganzheitliche Entwicklung im Blick – Frühgeborene am Universitätsklinikum rechts der Isar
Die ganzheitliche Entwicklung im Blick – Frühgeborene am Universitätsklinikum rechts der Isar
Jedes Jahr kommen in Deutschland rund 60.000 Kinder zu früh auf die Welt, also vor Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche. Als Level-1-Perinatalzentrum können am Universitätsklinikum rechts der Isar auch extrem unreif geborene Kinder unter 1.500 Gramm Geburtsgewicht behandelt werden. Rund 45 dieser extrem Frühgeborenen werden pro Jahr von interdisziplinären und erfahrenen Fachleuten betreut. Anlässlich des heutigen Welt-Frühgeborenen-Tages stellt das Team der Neonatologischen Intensiv- und Überwachungsstation besondere Therapien am Universitätsklinikum vor.
Känguruhen
Eltern sollen und dürfen jeden Tag ausgiebig direkten Körperkontakt mit ihrem Kind aufnehmen. Das sogenannte „Känguruhen“ wird auch von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlen. Denn es unterstützt den Aufbau der Eltern-Kind-Bindung: Über den Hautkontakt hört das zu früh geborene Kind wieder den vertrauten Herzschlag seiner Mutter und hört ihre Stimme, es riecht seine Eltern und kann so ein Urvertrauen entwickeln. Die Idee für das Känguruhen entstand in Bogotá, Kolumbien, eigentlich aus einer Not heraus, da es für die frühgeborenen Kinder nicht genügend Inkubatoren gab und so die Mütter die Wärme ihren Kindern über den eigenen Körper gaben.
Auf der Intensiv- und Überwachungsstation stehen Eltern sieben spezielle Känguruh-Stühle zur Verfügung. „Wir empfehlen mindestens eine Stunde tägliches känguruhen, damit das Kind auch die Chance hat, sich an die ungewohnte Umgebung zu gewöhnen. Das Kind wird idealerweise unbekleidet auf die ebenfalls nackte Haut des Elternteils gelegt, warm zugedeckt und darf die Nähe genießen. Außerdem bekommen die Eltern von uns einen Handspiegel, damit sie ihr Kind nicht nur spüren, sondern auch sehen können“, so Prof. Dr. med. Esther Rieger-Fackeldey, Leitende Oberärztin der Neonatologie am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München.
Musiktherapie
Auch Musik unterstützt die Entwicklung von Frühgeborenen. Daher arbeitet auf der Station eine Musiktherapeutin. Sie tritt mit den Frühgeborenen über ihr eigenes Summen oder Singen in Kontakt, gibt mit ihrer Stimme beruhigende Schwingungen an die Kinder weiter und vermittelt durch das Auflegen der flachen Hand auf den Körper des Kindes im Inkubator das Gefühl: „Du bist nicht allein!“ Für sehr unruhige Kinder wählt sie besonders beruhigende Musikstücke aus, die ihnen außerhalb dieser Versorgungsrunde vorgespielt werden können, damit sie wieder zur Ruhe kommen können. Gleichzeitig unterstützt die Musiktherapeutin Pflegekräfte bei der Betreuung der Eltern, indem sie sich die Zeit für private Gespräche nimmt und sich den Sorgen, Nöte und Befürchtungen von Müttern und Vätern annimmt.
Gesprächstherapie
Eine Frühgeburt ist häufig auch für Eltern herausfordernd. Einmal pro Woche können sie sich daher an eine Gesprächstherapeutin wenden, die ihnen dabei hilft, die zum Teil traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten und so in die Rolle von Frühcheneltern hineinzuwachsen. Hier können sie ihre Sorgen, Nöte, Befürchtungen und Ängste aussprechen und gemeinsam angehen. So finden sie wieder die nötige Kraft, ihr frühgeborenes Kind weiterhin täglich zu besuchen und ihm ein Stück weit auch Kraft und Stärke zu vermitteln.
Nachsorge für Frühgeborene
Die Betreuung von Frühgeborenen endet nicht mit der Entlassung aus der Klinik. Um die Übergangsphase zu erleichtern und die Eltern optimal auf die Zeit zu Hause vorzubereiten, wurde 1996 in München die Harl.e.kin-Nachsorge gegründet. Ziel ist die Unterstützung der Familien und die Förderung einer bestmöglichen Entwicklung der früh- und risikogeborenen Kinder. Seit 2009 ist Harl.e.kin auch am Universitätsklinikum rechts der Isar aktiv und hat hier in dieser Zeit mehr als 1.000 Frühgeborene und ihre Familien begleitet. Mit Hilfe des Vereins und der „Sternstunden“ des Bayerischen Rundfunks wurde am Universitätsklinikum unter anderem ein Elternappartement eingerichtet, in dem Mütter und Väter während der intensivmedizinischen Behandlung ihrer Kinder wohnen können. Gerade für weit entfernt lebende Familien ist das eine große Hilfe.
Zum 25. Jubiläum von Harl.e.kin-Nachsorge gratuliert Prof. Bettina Kuschel, Leiterin der Sektion Geburtshilfe und Perinatologie am Universitätsklinikum rechts der Isar: „Ich beglückwünsche den Verein, seine Initiatorinnen und Initiatoren und viele, viele Menschen, die dieses herausragende Münchener Erfolgsprojekt über so viele Jahre etabliert, begleitet, unterstützt und am Leben erhalten haben.“ Prof. Kuschel fühlt sich „stolz und glücklich“, in einer Klinik zu arbeiten, die ebenfalls seit mehr als 13 Jahren von diesem Erfolgsprojekt profitiere: „So vielen Müttern habe ich gemeinsam mit unseren Kinderärztinnen und Kinderärzten die Möglichkeit vermittelt, oft lange Zeit in ‚unserem‘ Harl.e.kin-Appartement in der Nähe ihres Babys zu wohnen - wobei sich mit dieser Wohnmöglichkeit in meiner Erinnerung auch manch lustige Szene verbindet!“
Weitere Informationen finden betroffene Eltern und auch erwachsene Frühgeborene beim Bundesverband „Das frühgeborene Kind“ e. V. Informationen in Englisch sowie eine Übersicht internationaler Elternorganisationen bietet die European Foundation for the Care of Newborn Infants (EFCNI).
Für einen guten Start ins Leben (v.l.n.r): Leiterin der Neonatologie Prof. Dr. Esther Rieger-Fackeldey, Emin und Din Burzic mit ihrer Mutter und Harlekinschwester Lydia Dölfel