HIV und SARS-CoV-2: Zwei Viren, die die Welt veränderten
HIV und SARS-CoV-2: Zwei Viren, die die Welt veränderten
Das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 hält die Welt in Atem: Es gibt zugelassene Therapieoptionen, weltweit wird fieberhaft an Impfstoffen geforscht – gleichzeitig versuchen Gesundheitsbehörden und Krankenhäuser die zweite Welle unter Kontrolle zu bekommen. HIV hingegen hat sich in den letzten Jahren von einer globalen Bedrohung zu einer beherrschbaren chronischen Erkrankung entwickelt – zumindest in Ländern mit hoch entwickelten Gesundheitssystemen. Beide Erreger – HIV und SARS-CoV-2 – sind im Tierreich als Zoonosen entstanden und erfordern bis heute immense Anstrengungen, um sie unter Kontrolle zu bringen bzw. zu halten. Die wichtigsten klinischen Aspekte beider Viruserkrankungen werden im Rahmen unseres Online-Symposiums am 2. Dezember von 18 bis 20 Uhr beleuchtet. Veranstaltet wird das Online-Symposium vom interdisziplinären HIV-Zentrum IZAR am Klinikum rechts der Isar unter Leitung von Infektiologe und Oberarzt PD Dr. Christoph Spinner.
Privatdozent Dr. Christoph Spinner ist Infektiologe und leitet das HIV-Zentrum IZAR am Klinikum rechts der Isar (© argum, Klinikum rechts der Isar und Stockvektor-Nummer: 1660181482, Fotomay)
„Schon früh während der ersten Coronawelle haben wir gesehen, dass wir nicht alle Ressourcen für Covid-19 vorhalten dürfen“, sagt Dr. Christoph Spinner. „Von der Weltgesundheitsorganisation gab es am Rande der Welt-AIDS-Konferenz im Juli 2020 erschreckende Zahlen: Weltweit ist nicht nur die Versorgung mit antiretroviralen HIV-Therapien kollabiert, sondern z.B. auch die Bereitstellung von Impfkampagnen, Schwangerschaftsvorsorge, etc.“ In Deutschland war während der ersten Coronawelle plötzlich ein deutlicher Rückgang bei Schlaganfällen und Herzinfarkten zu verzeichnen, auch am Klinikum rechts der Isar. Die Menschen sind selbst bei ernsthaften und potenziell lebensgefährlichen Erkrankungen nicht mehr ins Krankenhaus, aus Angst vor einer Ansteckung mit SARS-CoV-2.
Die Gemeinsamkeiten von HIV und SARS-CoV-2
HIV und SARS-CoV-2 werden zwar unterschiedlich übertragen, aber es sind beides Viren, die sich relativ schnell weltweit ausgebreitet haben und zuvor unbekannt waren. Beide Viren sind vom Tierreich als Zoonosen auf den Menschen übergegangen. Beide Erreger haben Angst in der Bevölkerung ausgelöst und zu einer Stigmatisierung der betroffenen Patient*innen geführt.
HIV-positive Menschen – Risikopersonen für Covid-19?
„Patient*innen, die eine gute antiretrovirale Therapie erhalten, haben normalerweise kein erhöhtes Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf“, sagt Dr. Christoph Spinner. Anders sieht es bei HIV-Patient*innen mit reduzierten Helferzellen aus, die wichtig für die Immunantwort sind. Sie gehören zur Risikogruppe. Ein höheres Risiko für Covid-19 haben generell Menschen mit Übergewicht, Lungen- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck und Diabetes sowie Patient*innen ab 60 Jahren. „Es stimmt natürlich theoretisch, dass wir Risikogruppen besonders schützen müssen“, sagt Dr. Christoph Spinner. Doch dafür fehle es in der Praxis an umsetzbaren Konzepten. Menschen, die mit dem Coronavirus infiziert sind, sind auch vor Symptombeginn schon ansteckend. Das mache die Prävention in Pflege- und medizinischen Einrichtungen sehr schwierig.
Impfstoff: HIV vs. SARS-CoV-2
Gegen HIV gibt es auch nach 40 Jahren noch keine Impfung, jedoch effektive Therapien, die ein normales Leben ermöglichen und eine Virusübertragung verhindern. Mittlerweile gibt es zum Glück auch eine effektive Präexpositionsprophylaxe (PrEP), die die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Infektion um 86 - 99 Prozent reduziert. Bei anderen Erkrankungen erreicht nicht jeder Impfstoff einen derart guten Schutz. Wie wirksam ein Impfstoff gegen SARS-CoV-2 sein wird, weiß man noch nicht. „Die derzeitigen Impfstoffkandidaten haben gezeigt, dass sie das Immunsystem aktivieren und eine Antikörperproduktion induzieren können“, sagt Dr. Christoph Spinner. „Immunität ist möglich. Das sieht man auch daran, dass es nach überstandener Covid-19-Erkrankung nicht sofort zu einer zweiten Infektion kommen kann, von Einzelfällen abgesehen.“ Doch die Entwicklung eines neuen Impfstoffes dauere normalerweise rund 15 Jahre, und nur etwa sechs von hundert Kandidaten würden zu Ende entwickelt. „Von anderen respiratorischen Viren wie der Influenza wissen wir, dass eine anhaltende Immunität nur schwer zu erreichen ist, so dass wiederholt geimpft werden muss.“
Was wir aus HIV für Covid-19 lernen können
Auf beide Viren haben die Menschen zunächst mit Angst reagiert. „Es liegt in der Natur des Menschen, sich von Kranken fernzuhalten, um sich selbst zu schützen“, so Dr. Christoph Spinner. „Teilweise haben Menschen mit Covid-19 aber wie AIDS-Kranke erlebt, dass sich ein Großteil des sozialen Umfelds von ihnen abwandte.“ Dabei heilt Covid-19 aus und bringt danach eine gewisse Immunität mit sich. „In beiden Fällen – bei AIDS und Covid-19 – gab es Bestrebungen, Risikogruppen zu isolieren, weil man Angst vor Übertragung hatte.“ Bei allen Pandemien – auch bei früheren Influenza-Pandemien – forderte das Konzept der Herdenimmunität einen sehr hohen Preis im Sinne einer hohen Zahl an Todesopfern.
Forschung an HIV und SARS-CoV-2
Sehr viele Forschungskapazitäten werden derzeit zu Covid-19 umgelenkt. Das gilt für pharmazeutische Unternehmen und Organisationen, die vorher zu HIV geforscht haben, wie auch für Krankenhäuser, Unikliniken und Universitäten. Darunter leidet nicht nur die HIV-Forschung, sondern generell die Erforschung unzähliger anderer schwerer Erkrankungen. „Ich glaube, dass für Covid-19 noch weitere wirksame Arzneimittel zugelassen werden, so wie bei HIV. Es wird vermutlich auch Wirkstoffe zur Prophylaxe von Covid-19 geben, die vor oder nach einem Kontakt mit SARS-CoV-2 eingesetzt werden können, also eine Prä- und Postexpositionsprophylaxe“, sagt Dr. Christoph Spinner. Beim Thema Impfung müsse man allerdings realistisch bleiben: „Corona wird uns sicher auch über 2021 hinaus beschäftigen, selbst wenn es Impfstoffe geben wird. Einem normalen Leben wie vor Covid-19 werden wir erst wieder nahekommen, wenn ein Großteil der Bevölkerung Immunität gegenüber SARS-CoV-2 erworben hat – idealerweise durch eine sichere und effektive Impfung und nicht durch eine Infektion!“