Krebs in Afrika vor und nach Covid-19

Krebs in Afrika vor und nach Covid-19

Prof. Dr. Stefanie J. Klug, Professorin für Epidemiologie an der Technischen Universität München (TUM) und Prof. Dr. Marion Kiechle, Professorin für Gynäkologie und Geburtshilfe und Direktorin der Frauenklinik am Klinikum rechts der Isar der TUM, haben einen Artikel über Krebs in Afrika vor und nach der Coronavirus-Pandemie geschrieben. Ihr Text ist auch im TUM-Sammelband "Denkanstöße für die Zeit nach Corona" (kostenloser Download) erschienen.
 

Prof. Dr. Marion Kiechle, Professorin für Gynäkologie und Geburtshilfe und Direktorin der Frauenklinik am Klinikum rechts der Isar der TUM

Prof. Dr. Marion Kiechle, Professorin für Gynäkologie und Geburtshilfe und Direktorin der Frauenklinik am Klinikum rechts der Isar der TUM

Weltweit und auch in Afrika verbreitet die Pandemie viel Angst, fordert eine hohe Anzahl von Todesopfern und überfordert viele Gesundheitssysteme. Vor allem in Afrika waren diese Gesundheitssysteme auch schon vor der Pandemie zum Teil in prekärem Zustand. Chronischer Mangel an finanziellen Ressourcen, modernen Apparaturen, Materialien und gut ausgebildetem Personal sind eher der Normalzustand als die Ausnahme. Für die Bevölkerungen ist der Zugang zum Gesundheitssystem aufgrund von sozialen, kulturellen, geografischen oder finanziellen Begebenheiten oft nicht oder nur sehr spät möglich.

Wenn ein hochinfektiöses, sich schnell verbreitendes und potenziell tödliches Virus wie SARS-CoV-2 auf ein schlecht vorbereitetes Gesundheitssystem trifft, und ein solches muss für die meisten afrikanischen Länder südlich der Sahara angenommen werden, dann ist der Zusammenbruch des Gesundheitssystems programmiert. Viele afrikanische Gesundheitssysteme waren bereits vor der Pandemie mit anderen übertragbaren Erkrankungen wie HIV/AIDS (718.800 Tote alleine im Jahr 2016), Durchfallerkrankungen (652.800), Malaria (408.100) und Tuberkulose (405.500) völlig überlastet. Insgesamt starben im Jahr 2016 in Afrika mehr als 2,7 Mio. Menschen an infektiösen und parasitischen Erkrankungen.

Nichtübertragbare Krankheiten

Hinzukommt, dass in den letzten Jahren und Jahrzehnten nichtübertragbare chronische Krankheiten auch in Afrika eine zunehmende Krankheitslast darstellen. Mehr als 3 Millionen Menschen sind im Jahr 2016 an einer nichtübertragbaren Erkrankung verstorben. Hier sind vor allem Herz-Kreislauf- Erkrankungen (mehr als 1,1 Mio. Tote in 2016, davon 512.000 Tote durch ischämische Herzkrankheiten und 373.000 Tote durch Schlaganfall), Tumorerkrankungen (541.000), Erkrankungen des Verdauungssystems (356.000), neurologische Erkrankungen (142.000) und Diabetes (168.000) zu nennen.

Wenn zu der bereits vorhandenen doppelten Belastung der Gesundheitssysteme mit endemisch vorhandenen übertragbaren und nichtübertragbaren Krankheiten nun eine Pandemie mit einem neuartigen Virus hinzukommt, drohen die nichtübertragbaren Krankheiten in den Hintergrund zu geraten. Angesichts der mehr als 3 Mio. Todesfälle durch nichtübertragbare Krankheiten alleine in einem Jahr (2016) in Afrika wäre das fatal. Projekte zu Prävention, Früherkennung und Therapie von Krebserkrankungen in Afrika müssen stattdessen deutlich mehr in den Vordergrund des Förderinteresses gerückt werden. Vorhandene und sichere Impfstoffe gegen Hepatitis B (Prävention von Leberkrebs) und Humane Papillomviren (Prävention von Gebärmutterhalskrebs) müssen auch in Afrika, wo Inzidenz- und Mortalitätsraten gerade dieser beiden Tumorentitäten besonders hoch sind, für alle Kinder erhältlich gemacht werden. Bewährte Krebstherapien einschließlich sicherer Operationen müssen auch in Afrika für alle Patientinnen und Patienten zugänglich sein. Dafür müssen die Gesundheitssysteme verbessert und ausgebaut werden und Krankenversicherungen etabliert werden, die Impfungen, Früherkennung und Krebsbehandlungen übernehmen.

Primäre Prävention von Krebserkrankungen

Viele nichtübertragbare Erkrankungen können wirkungsvoll durch vergleichsweise einfache Maßnahmen der primären Prävention verhindert werden. Bis zu 70 Prozent der Herz-Kreislauf-Erkrankungen und bis zu 50 Prozent der Krebserkrankungen sind vermeidbar. Lebensstilfaktoren wie Rauchen, ungesunde Ernährung, Alkoholkonsum und ein Mangel an körperlicher Aktivität sind die Hauptrisikofaktoren für viele Krebserkrankungen, wie Lungenkrebs, Darmkrebs und Brustkrebs sowie für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Viren und Krebs

Da Viren nicht nur Infektionskrankheiten verursachen können, sondern auch Krebserkrankungen, gehören auch Impfungen zur primären Prävention von Krebs. Seit den 1980er-Jahren ist ein Impfstoff gegen Hepatitis B erhältlich, der letztlich der Entstehung von Leberkrebs vorbeugt. Im Jahr 2016 starben 41.800 Menschen in Afrika an einem Leberkarzinom, davon wurden 18.400 Todesfälle durch Hepatitis B, 8.000 durch Hepatitis C und 12.000 durch erhöhten Alkoholkonsum verursacht.

Seit dem Jahr 2006 ist ein Impfstoff gegen Humane Papillomviren (HPV) erhältlich. Gebärmutterhalskrebs wird durch HPV verursacht. Im Jahr 2006 starben 59.110 Frauen in Afrika an Gebärmutterhalskrebs. Damit ist Gebärmutterhalskrebs die häufigste krebsbedingte Todesursache bei Frauen in Afrika. Im Jahr 2018 lag die Neuerkrankungsrate bei 27,6 pro 100.000.

Krebs bei Frauen in Afrika

Die zweithäufigste krebsbedingte Todesursache bei Frauen in Afrika ist Brustkrebs. 54.800 Frauen starben im Jahr 2016 in Afrika an Brustkrebs. Im Jahr 2018 lag die Neuerkrankungsrate bei 37,9 pro 100.000. Sowohl zur Früherkennung (Sekundärprävention) von Gebärmutterhalskrebs als auch von Brustkrebs gibt es wirksame Methoden. Seit den 1960er-Jahren ist der Pap-Abstrich zur Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs erhältlich, seit geraumer Zeit auch ein HPV-Test zum Nachweis der HPV-Infektion. In Afrika wird, wenn überhaupt ein Screening zur Verfügung steht, meist die einfacher und kostengünstigere, aber nicht so verlässliche Methode der Visual Inspektion (VIA) zur Früherkennung angewendet. Würde ein effektives Gebärmutterhalskrebs Screening Programm in Afrika eingeführt werden und alle Kinder gegen HPV geimpft werden, würde das Zervixkarzinom in der Zukunft von der Liste der Krebstodesursachen gestrichen werden.

Auch für Brustkrebs existiert ein effektives Früherkennungsprogramm. In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass Frauen, die im Alter zwischen 40 und 69 Jahren alle zwei Jahre eine Mammografie durchführen lassen, eine um 20 – 40 Prozent niedrigere Brustkrebssterberate innerhalb von zehn Jahren aufweisen. Hinzu kommt, dass durch ein Screening für Brustkrebs, die Erkrankung in einem früheren Stadium diagnostiziert wird. Somit erhöhen sich die Chancen auf eine brusterhaltende und weniger invasive Behandlung. Effektive Früherkennungsprogramme für diese beiden häufigsten Krebserkrankungen stehen afrikanischen Frauen aktuell nicht zur Verfügung.

Nachhaltigkeit: Aufbau lokaler Struktur

Die Bundesregierung hat aktuell eine Reihe von Afrika-Initiativen aufgelegt und auch der Freistaat Bayern fördert unter anderem ein Afrikapaket. Die TUM hat 2018 eine langfristige Afrika-Initiative mit einem Schwerpunkt an der Kwame Nkrumah University of Science and Technology (KNUST) in Ghana gestartet. Mit der Förderung durch den TUM Global Incentive Fund haben der Lehrstuhl für Epidemiologie, das Center for Global Health und die Frauenklinik der TUM im Februar 2020 mit ghanaischen Partnern von der School of Public Health der KNUST einen Workshop zum Thema „Women’s Health and Cervical Cancer Prevention“ in Ghana durchgeführt. Ziel des Workshops war es, die Situation vor Ort bezüglich Gebärmutterhalskrebs-Prävention und Behandlung sowie zur HPV-Impfung zu investigieren. Mittel- und langfristig sollen gemeinsam mit weiteren Partnern Forschungsprojekte durchgeführt werden und nachhaltige Präventions- und Therapiestrategien implementiert werden. Des Weiteren sollen Studierende und Lehrende ausgetauscht werden.

Die Pandemie wird früher oder später ihren Schrecken verlieren, Infektionskrankheiten sind auf dem Rückzug, nichtübertragbare Krankheiten dagegen werden weiter weltweit und auch in Afrika dramatisch zunehmen. Im Jahr 2018 wurde weltweit bei 18,1 Mio. Menschen eine Krebserkrankung neu diagnostiziert. Es wird prognostiziert, dass im Jahr 2040 bereits 27,5 Mio. Menschen eine Krebserkrankung erleiden werden. Ein großer Anteil davon wird in weniger entwickelten Ländern und auch in Afrika leben. Es ist wunderbar und absolut notwendig, dass in kurzer Zeit weltweit sehr viel Geld zur Erforschung und Bekämpfung von Covid-19 zur Verfügung gestellt wurde. Beispielsweise stellt die Bundesregierung allein für die Entwicklung eines SARS-CoV-2-Impfstoffes 750 Millionen Euro in 2020 zur Verfügung. Es ist allerdings nicht nachvollziehbar, dass nicht mindestens ebenso viele Ressourcen in
die Prävention, Früherkennung und Therapie von Krebserkrankungen in Afrika investiert werden.

 

Literatur

World Health Organisation:

https://www.who.int/healthinfo/global_burden_ disease/estimates/en/

International Agency for Research on Cancer ( IARC ): https://gco.iarc.fr/today/home

Große Potenziale der Prävention. Brenner H, Mons U. Dtsch Arztebl 2019; 116(4): A 132–3

https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/112759/ Bund-gibt-750-Millionen-Euro-fuer-Impf- stoffentwicklung-gegen-SARS-CoV- 2?rt=b215109f41387f3e2ac7e8ee65f654c3

 

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