„Mit brillanten Köpfen die Zukunft des Klinikums gestalten“
„Mit brillanten Köpfen die Zukunft des Klinikums gestalten“
Dr. Martin Siess (54) ist neuer Ärztlicher Direktor am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM). Nach mehr als zehn Jahren als Vorstand der Universitätsmedizin Göttingen kehrt er zum 1. Juli an das Haus zurück, an dem er einst promovierte. Danach wechselte er zunächst in die Strategieberatung. Ein Gespräch über die Zukunft des Klinikums, dessen Rolle für den Medizinstandort München – und das Wichtigste überhaupt: die Menschen.
Herr Dr. Siess, Sie kennen das Universitätsklinikum rechts der Isar schon von früher, bezeichneten es jüngst sogar als „eine Perle“. Worauf freuen Sie sich am meisten?
Auf die Zusammenarbeit mit brillanten Köpfen – am Klinikum und am Hochschulstandort München. Menschen machen die Programme, das ist für mich entscheidend. Dies gilt vor allem in der Hochschulmedizin. Hier gibt es hochmotivierte, engagierte Leute aus ganz verschiedenen Fachbereichen. Mit ihnen die Zukunft des Klinikums gestalten zu können – darauf freue ich mich am allermeisten.
Sie sind erst 54 Jahre alt, Allgemeinmediziner und sind früh in den strategischen Bereich gewechselt: Für einen Ärztlichen Direktor ist Ihre Vita spannend und ungewöhnlich – ein Vorteil, um eine große Universitätsklinik fit zu machen für die Zukunft?
Ich empfinde den Weg, nach der Medizin in die Privatwirtschaft und dann ins Management zu gehen, eher als eine gute Grundlage: So habe ich gesehen, wie Firmen in der Privatwirtschaft geführt, aufgestellt und fit für die Zukunft gemacht werden. Ich habe ganz andere Bereiche und auch fundamentale Management-Methoden kennengelernt. Schon in Göttingen war es für mich besonders spannend, diese Erfahrungen auf eine Universitätsklinik zu übertragen. Auch in München möchte ich daher meinen Erfahrungsschatz einbringen, ein Impulsgeber sein.
Hand aufs Herz: Erleben Sie es manchmal auch als Nachteil, dass Sie früh von der Krankenversorgung in den strategischen Bereich gewechselt sind?
Als ich mit 43 Jahren die Vorstandsarbeit in der Universitätsmedizin in Göttingen übernommen habe, war ich mir nicht sicher, ob das vielleicht ein Thema werden könnte. Tatsächlich war es aber nie eines – im Gegenteil. Durch meinen Lebensweg war ich bestens auf die Aufgaben als Vorstand vorbereitet und ich hatte in Göttingen eine hervorragende Zusammenarbeit mit den Klinikdirektoren und medizinischen Spezialisten. Manchmal ist es sogar ein Vorteil, wenn man als Ärztlicher Direktor nicht für ein spezifisches Fach steht, gerade dann, wenn man die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Fachdisziplinen fördern will.
Sie mögen ja provokante Fragen. Warum eigentlich?
Ich bin ein großer Freund von Verbindlichkeit. Aber um verbindlich sein zu können, muss man klar wissen, was Sache ist. Ein realistisches, wahrheitsgemäßes Bild bekommt man aber nur, wenn man unterschiedliche Meinungen und Perspektiven gehört hat. Die besten Entscheidungen kommen daher zustande, wenn kluge Köpfe von unterschiedlichen Perspektiven auf die gleichen Themen schauen und offen aussprechen, was sie denken. Deshalb kann für mich keine Frage provokant sein – so kommt man schnell zum Kern und redet nicht um den heißen Brei herum.
Sie sind der Ansicht, die „Medizin der Zukunft“ lasse sich durch das Prinzip einer unternehmerischen Universität besonders gut entwickeln. Warum?
Medizinischer Fortschritt beruht auf Forschung, Innovation, Kreativität und Agilität bei der Umsetzung. Das Zukunftskonzept der Technischen Universität München als unternehmerische Universität hat mich daher sehr angesprochen – weil es nicht nur sehr innovativ ist und auf Agilität, Professionalität und Geschwindigkeit setzt, sondern vor allem auf die Menschen: In der Privatwirtschaft ist es für erfolgreiche Firmen entscheidend, dass sich Mitarbeitende entsprechend ihrer Präferenzen entwickeln können und dies im Einklang mit den Unternehmenszielen steht. Dieses Prinzip auf das Klinikum zu übertragen, war schon in Göttingen meine Motivation. Das möchte ich jetzt auch in München tun. Die Herausforderungen hier reizen mich sehr. Ganz nebenbei: Das Klinikum rechts der Isar wurde als erstes Universitätsklinikum in Bayern als Anstalt öffentlichen Rechts geführt und war damals Vorreiter für mehr unternehmerische Freiheiten. Diesem Anspruch möchte ich gerne auch in Zukunft folgen.
Ganz konkret: Was sind Ihrer Ansicht nach die größten Herausforderungen, vor denen das Klinikum rechts der Isar steht?
Die erfolgreichen Entwicklungen in der Hochleistungsmedizin, Forschung und Lehre führen zu immer weiter steigenden Anforderungen an die bauliche und technische Infrastruktur in der Universitätsmedizin. Auch am Klinikum rechts der Isar stehen daher wichtige bauliche Maßnahmen an. Eine weitere große Herausforderung ist in München die Situation im Bereich der Pflege. München hat zwar den Vorteil, ein attraktiver Standort zu sein, viele Menschen wollen hier leben und arbeiten. Gleichwohl ist die Wohnungsnot groß und die Lebenshaltungskosten sind in der Stadt sehr hoch. Das ist für viele Berufsgruppen und Mitarbeitende ein Problem. Wir werden hier weiter an Lösungen arbeiten müssen.
Was wollen Sie zuallererst anpacken?
Die Entwicklung eines gemeinsamen Zukunftsbildes wird eine der ersten und wichtigsten Aufgaben sein, die ich angehen möchte. Das Allerwichtigste dabei ist aus meiner Sicht Teilhabe: Wir haben sehr viele kluge Köpfe – die will ich bei der Definition des Weges in die Zukunft einbinden und mitnehmen. Wichtig ist mir auch die Geschlossenheit im Vorstand und mit den Klinikdirektoren und Mitarbeitenden.
Ihr Wechsel fällt in die Zeit der Corona-Pandemie. Mit welchen Herausforderungen rechnen Sie in der Zeit danach?
Unmittelbare Herausforderungen betreffen Mitarbeitende und vor allem Pflegekräfte, aber auch Ärztinnen und Ärzte auf Intensivstationen: Viele sind nach dieser langen Phase einer durchgehend hohen Belastung erschöpft, würden sich eigentlich eine Pause wünschen. Wir müssen daher sicherstellen, dass wir nach der Pandemie mit neuer Kraft unsere Aufgaben angehen können. Herausforderungen sind aber immer auch Chancen. Die Pandemie hat vielen gezeigt, wie wichtig Universitätsmedizin ist – durch die Erfolge, die wir in der Bekämpfung der Erkrankung, aber auch zum Schutz vor der Pandemie hatten. Die schnelle Entwicklung hoch wirksamer Impfstoffe ist ein herausragender Erfolg der Forschung und weltweiten Zusammenarbeit in Netzwerken.
Wo sehen Sie das Klinikum in fünf Jahren?
Auch wenn die Pandemie ein Jahrhundertereignis ist, werden wir in fünf Jahren die wirtschaftlichen und personellen Folgen der Pandemie bewältigt haben. Ein sehr wichtiges Ziel wird der weitere Ausbau der Verbindung der Medizin zur Technischen Universität sein, die herausragende Zukunftsperspektiven bietet: Wir wollen zeigen, dass wir für Patientinnen und Patienten durch technischen Fortschritt, auch in der Digitalisierung, sehr viel Gutes tun können – hier sehe ich uns als TUM-Medizin ganz klar als Schrittmacher. Außerdem stelle ich mir vor, dass wir zusammen mit unseren Partnern einen weiteren großen Schritt nach vorn gemacht und die führende Rolle Münchens als Medizinstandort in Deutschland und Europa weiter ausgebaut haben. Hier meine ich insbesondere unsere Partnerschaft mit dem Klinikum und der Fakultät für Medizin der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) und mit den außeruniversitären Forschungseinrichtungen.
Inwiefern werden Ihnen dabei Ihre Erfahrungen aus mehr als zehn Jahren im Vorstand der Universitätsmedizin Göttingen helfen?
Ich denke, dass ich aus Göttingen viele wertvolle Erfahrungen in meine künftige Arbeit einbringen kann. Natürlich hat München eine andere Kultur als der Norden Deutschlands – als überzeugter Bayer darf ich das hoffentlich so sagen. Ich bin zwar hier geboren und aufgewachsen, aber die vielen Jahre, die ich außerhalb Bayerns unterwegs war, haben mich sicher geprägt. Ich kenne München und das Klinikum rechts der Isar im Moment noch mehr aus der Vergangenheit – und wir wollen ja die Zukunft entwickeln. Daher freue ich mich jetzt erst einmal, viele Menschen kennenzulernen und diese Verbindungen mit in die Vorstandsarbeit einbringen zu können.
Ganz zum Schluss: Was treibt Sie an?
Ich bin ein neugieriger, offener Mensch und interessiert neue Perspektiven und neues Denken kennenzulernen – diese Inspiration ist für mich extrem wichtig. Ich treibe auch unheimlich gern Dinge voran. Neues entwickelt sich nur, wenn man an Grenzflächen arbeitet und Menschen zusammenbringt, die sonst nicht zusammenkommen. Was mich im Berufsleben immer angetrieben hat: Medizin weiterzuentwickeln – nicht als Einzelperson, sondern im größeren Verbund. Das ist auch mein Motor: unterschiedliche Perspektiven zusammenzubekommen und so Dinge besser zu machen. Ich bin auch ein sehr optimistischer Mensch, der an die Zukunft glaubt. Ich denke, dass das Beste noch vor uns liegt.
Dr. Martin Siess übernimmt zum 1. Juli 2021 das Amt des Ärztlichen Direktors des Universitätsklinikums rechts der Isar.
Foto: Falk Heller, argum