Oberarzt Fabian Geisler: Erkenntnisse aus der Coronakrise

Oberarzt Fabian Geisler: Erkenntnisse aus der Coronakrise

„Wir waren der Entwicklung zum Glück immer einen Schritt voraus“, sagt PD Dr. Fabian Geisler. Als Leitender Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin II am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München hat er viele Covid-19-Patient*innen behandelt – insgesamt zählte das Klinikum zwischen Anfang März und Ende Mai über 200 stationäre Patient*innen, die schwer an Covid-19 erkrankt waren. Fabian Geislers Blick auf die Coronavirus-Pandemie, auf medizinische Herausforderungen, helle und dunkle Momente an vorderster Front – und Erkenntnisse aus der Krise.

PD Dr. Fabian Geisler hat am Klinikum rechts der Isar viele Covid-19-Patient*innen behandelt

PD Dr. Fabian Geisler hat am Klinikum rechts der Isar viele Covid-19-Patient*innen behandelt

Fotos: Argum

Herr Dr. Geisler, ein Rückblick Anfang Juni – wie hat das Klinikum rechts der Isar die Coronavirus-Pandemie aus Ihrer Sicht bislang bewältigt?

Dr. Fabian Geisler: Als ab Mitte März immer mehr Covid-19-Patient*innen zu uns kamen, hat es sehr gut funktioniert. Das haben wir der guten Strukturierung und Vorbereitung des Expertenteams im Vorfeld zu verdanken. Es hat sich gezeigt: Wir sind eine große Klinik, aber wir sind sehr schnell handlungsfähig, wenn es darauf ankommt.

Was hat Sie besonders beeindruckt? Was erschreckt?

Dr. Fabian Geisler: Wir hatten zu Hochzeiten 90 Covid-19-Patient*innen stationär zu versorgen und haben dafür drei Normal- und zwei Intensivstationen freigemacht und die Notaufnahme zweigeteilt. Dafür mussten anderen Stationen vorübergehend geschlossen werden, wir brauchten Arzt- und Pflegepersonal aus anderen Bereichen für die Covid-19-Patient*innen. Die Solidarität der gesamten Klinik war sehr gut. Alle haben uns grenzenlos unterstützt. Erschreckt hat mich, dass unter den schwer Erkrankten auch Menschen unter 40 Jahren ohne Vorerkrankungen waren. Einige dieser jungen Patienten sind gestorben. Wir konnten sie trotz Hochleistungsmedizin nicht retten.

So funktioniert nicht-invasive und künstliche Beatmung

Die verschiedenen Beatmungsformen im Überblick:

Nicht-invasiven Beatmung: Über eine Mund-Nasen-Maske erhalten die Patient*innen mit reinem Sauerstoff angereicherte Umgebungsluft bei leichtem Überdruck von etwa 30 Millibar. Normale Luft enthält 21 Prozent Sauerstoff, dieser Anteil wird auf 30 bis 40 Prozent erhöht.

Invasive oder künstliche Beatmung: Hierfür muss der Patient in ein künstliches Koma versetzt und intubiert werden. Ein Schlauch, der Tubus, wird über den Mund in die Luftröhre bis unter den Kehlkopf geführt. Eine Magensonde versorgt den Körper mit Kalorien. „Eine künstliche Beatmung ist bei Menschen mit Lungenversagen zwingend notwendig, aber sie kann nicht immer dauerhaft lungenschonend durchgeführt werden, auch wenn Sauerstoffkonzentration und Druck optimal eingestellt sind“, sagt Dr. Geisler. Patient*innen mit akutem Lungenversagen (ARDS) werden 16 Stunden am Tag in Bauchlage gedreht, weil das die Sauerstoffversorgung und die Druckverhältnisse in der Lunge verbessert.

Lungenersatzverfahren ECMO: Wenn die Lunge so schwer geschädigt ist, dass auch die invasive Beatmung nicht mehr hilft, kommt die Extrakorporale Membranoxygenierung, kurz ECMO, als letzter Versuch zur Lebensrettung in Betracht. Das Blut wird durch die Maschine geleitet und mit Sauerstoff angereichert. ECMO bedeutet eine Ruhepause für die Lunge, in der Hoffnung, dass sie sich erholt.

Hat sich der Stufenplan bewährt, der für die Pandemie entwickelt wurde?

Dr. Fabian Geisler: Absolut. Wir waren der Entwicklung dadurch eigentlich immer einen Schritt voraus und haben uns Bett für Bett an die Patientenzahl angepasst. Außerdem haben wir sehr schnell Behandlungsstandards und Hygienestandards etabliert und z.B. vor den offiziellen Empfehlungen des Gesundheitsamtes im ganzen Haus eine Mundschutzpflicht eingeführt. Ich bin überzeugt, dass uns diese Maßnahmen vor größeren klinikinternen Clustern verschont haben. Die Hygiene- und Schutzmaßnahmen waren wirkungsvoll.

Es gab aber sicher auch dunkle Momente?

Dr. Fabian Geisler: An einem Wochenende Anfang April habe ich gedacht: Wir packen es nicht. Die Patienten kamen im 30-Minuten-Takt aus der Notaufnahme auf die Covid-Stationen. Viele davon schwer krank.

Aber dann entspannte sich die Lage merklich – Auswirkungen des Lockdowns?

Dr. Fabian Geisler: Ich bin überzeugt, dass der Lockdown effektiv war. Zwei Wochen nach den Beschränkungen ist die Kurve merklich abgeflacht. Die frühen Hochrechnungen im März haben sich zum Glück nicht bestätigt. Sie besagten, dass wir im schlimmsten Fall zwischen 1.000 und 20.000 Intensivbetten in München benötigen würden. Das hätten die Münchner Krankenhäuser nicht leisten können.

Wie haben Ihre Mitarbeiter*innen die Herausforderung gemeistert?

Dr. Fabian Geisler: Wir haben gerade in der Zweiten Medizinischen Klinik sehr viele junge Kolleg*innen. Sie haben die Arbeit toll gemeistert, jeder hat sehr schnell Verantwortung übernommen und seinen Platz an vorderster Front gefunden. Wir mussten alle erst einmal lernen, uns vor Dienstbeginn minutenlang korrekt zu „verkleiden“, also die Schutzausrüstung anzulegen. Gerade zu Beginn der Erkrankungswelle hatten alle anfangs schon ein mulmiges Gefühl.

 

Dr. Fabian Geisler ist Leitender Oberarzt der Klinik für Innere Medizin II am Klinikum rechts der Isar

Dr. Fabian Geisler ist Leitender Oberarzt der Klinik für Innere Medizin II am Klinikum rechts der Isar

Es ging phasenweise sicherlich hoch her hinter den geschlossenen Türen der Covid-Stationen..?

Dr. Fabian Geisler: Natürlich, wir befanden uns in einer Ausnahmesituation. Dass es nach außen für die Bevölkerung nicht so dramatisch aussah, spricht für uns.

Was ist bei der Behandlung für Patienten mit schweren Verläufen besonders wichtig?

Dr. Fabian Geisler: Gute und moderne Intensivmedizin ist sicher mitentscheidend, vor allem, solange wir noch kein gut wirksames Medikament gegen Covid-19 haben. Das bedeutet: die Organe unterstützen, die zu versagen drohen. Die rechtzeitige und richtige Beatmung ist wahnsinnig wichtig. Aber z.B. auch Nierenersatzverfahren, also die Dialyse. Die Komplikationen und Verläufe bei Covid-19 können ganz unterschiedlich sein. Manchen Patient*innen geht es nach zehn Tagen auf der Intensivstation schon deutlich besser. Andere liegen zwei Monate und länger auf Intensiv und sind immer noch schwer krank.

Was nehmen Sie Positives mit aus der Coronakrise?

Dr. Fabian Geisler: Ich war positiv überrascht, wie schlagkräftig unsere Klinik sein kann. "Wendig" trifft es am besten. In wenigen Stunden wurden ganze Stationen freigemacht für Covid-19-Patient*innen. Die Arbeit in den interdisziplinären Teams war und ist hochkompetent – von den Ärztinnen, Ärzten und Pflegenden über die Hygiene-Experten bis zur Wirtschaftsabteilung.

 

 

Beteiligte Fachbereiche und Kliniken: 

Klinik und Poliklinik für Innere Medizin II

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