„Pflegende sind in einem Hightech-Klinikum die wichtigste Berufsgruppe“
„Pflegende sind in einem Hightech-Klinikum die wichtigste Berufsgruppe“
Was hat Pflege mit Spiritualität zu tun? Sehr viel! Das sagt Prof. Eckhard Frick, der am Universitätsklinikum rechts der Isar die Professur für Spiritual Care und psychosomatische Gesundheit innehat. Beim morgigen Symposium „Who cares? Spiritualität für Pflegende“ geht es um eine der wichtigsten seelischen Ressourcen in Gesundheitsberufen. Und auch darum, wie man psychosoziale Unterstützung an die Basis bringt. Ein Interview über Kraftquellen im Pflegealltag.
Sie sind Professor für Spiritual Care und psychosomatische Gesundheit. Ganz konkret: Worum dreht sich Ihre Arbeit?
Wir kümmern uns um Sinnfragen, um existenzielle Belange. Sprich: Wo fühlen sich Menschen in ihrem Kern bedroht? Wo sind die Kraftquellen, aus denen sie schöpfen können – um zum Beispiel eine Krankheit oder eine berufliche Belastung besser zu verarbeiten? Mit solchen Aspekten beschäftigen wir uns, um die Resilienz, also die psychische Widerstandskraft, zu stärken.
Wo genau liegt hier die Verbindung zur Pflege?
Der Begriff „care“ kommt ja ursprünglich aus der Pflege und hat sich dann erweitert auf alle Gesundheitsberufe und sogar darüber hinaus. Er bedeutet: sich kümmern, sich sorgen. Wir können also alle von der Pflege sehr viel lernen. Allein für medizinische Eingriffe bräuchten wir keine Krankenhäuser. Die haben wir wegen der Pflege, um Menschen Sicherheit zu geben – und einen Ort, an dem sie sich erholen können. Dafür sind die Pflegenden zuständig. Sie sind auch in einem Hightech-Klinikum die wichtigste Berufsgruppe.
Nach mehr als zwei Jahren Pandemie sind viele Pflegende am Ende ihrer Kräfte. Sind sie auch Empfänger von Spiritual Care?
Sicherlich nicht in dem Sinn, dass man ihnen von außen den Lebenssinn einträufelt. Aber wir können darauf aufmerksam machen, dass sie diese Ressourcen haben – nicht nur für kranke Menschen, sondern auch für sich selbst. Es gibt da einen wichtigen Generationenunterschied: Die Jüngeren arbeiten weniger aus Pflichtgefühl oder um etwas zu verdienen. Sie achten viel stärker darauf, wozu sie das machen, was sie machen. Das kann Krisen auslösen – bis dahin, dass der eine oder andere den Beruf angesichts all dieser Belastungen sogar aufgibt. Andere empfinden es als Herausforderung und schöpfen daraus eine eigene Motivation. Sie sehen sich genau am richtigen Platz. Wir können in Zukunft stärker darauf achten, wozu Menschen Gesundheitsberufe ergreifen und warum sie unter Umständen jahrzehntelang dabei bleiben. Und wenn ich mich mal in die Rolle einer Personalmanagerin hineinversetze, stellt sich die Frage: Wie können wir von Anfang an darauf achten, dass wir die Leute bekommen, die eine derartige Motivation mitbringen?
Und wie geht das konkret?
Indem wir den Pflegeberuf attraktiver gestalten und dabei insbesondere auch eine interprofessionelle Teamkultur fördern – also eine Zusammenarbeit von Pflege, Medizin und anderen Gesundheitsberufen auf Augenhöhe. Das ist sehr wichtig, denn es bedeutet Wertschätzung. Die klassische Pflegeausbildung beginnt als Lehrberuf ja sehr früh – manche sagen: zu früh, weil die jugendliche Begeisterung durch zu große Belastung „verbrannt“ wird.
Ein zunehmendes Problem im Pflegeberuf ist ja auch moral distress. Was versteht man darunter?
Moral distress heißt: Ich kann nicht so handeln, wie es meinen Werten entspricht, und das zehrt an meinen Kräften...
…das heißt übersetzt: Ich sehe, dass eine Patientin oder ein Patient mehr Zuwendung bräuchte, aber mir fehlt die Zeit, ihm diese zu geben?
Ja, das ist der externe Aspekt daran. Problematisch können aber auch die internen Aspekte sein: Schuldgefühle, Erschöpfung, innere Kündigung. Unsere aktuelle Studie, sehr geprägt von der Pandemie, zeigt, dass Pflegende mehr zu moral distress neigen als Ärztinnen und Ärzte. Und wir beobachten, dass diejenigen, die sich als nicht gläubig bezeichnen, das Problem stärker erleben als diejenigen, die sich als gläubig bezeichnen. Wobei die Religiosität eine Untergruppe der Spiritualität ist. Selbstverständlich haben auch atheistische Menschen eine Spiritualität!
Spiritualität ist also eine wertvolle Ressource…
Durchaus! Zum Beispiel, um moral distress abzufedern – das zumindest belegen einige Studien. Es ist deshalb sicher vernünftig, vorhandene Kraftquellen zu erschließen.
Wie geht das in der Praxis?
Eine Studie aus dem Iran hat ergeben, dass die muslimischen Teilnehmenden sich als Werkzeuge in Gottes Hand begreifen. Das ist natürlich eine sehr religiöse Formulierung. Es bedeutet: Ich muss nicht alles alleine tun; ich weiß mich selbst geborgen. Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, muss man keine Muslima und kein Moslem sein. Diese Erkenntnis kann auch Menschen christlichen, jüdischen oder eines sonstigen Glaubens helfen. Konkret bedeutet das: Wir können zum Beispiel durch eine Praxis der Meditation, die allen Menschen offensteht, lernen: Ich muss nicht mit meinem Willen atmen, ich werde geatmet. Das ist ja die Basis der Meditation – zulassen, dass ich ein Mensch bin, der geatmet wird.
Bleibt dafür, gerade in der Hektik einer Krankenhausstation, wirklich genug Zeit?
Den Zeitfaktor gibt es unbestritten. Das hören wir sehr oft. Andererseits geht es ja oft nur um Augenblicke. In der Begegnung mit einem kranken Menschen braucht es manchmal nur eine kurze Unterbrechung des Routineablaufs. Ein Blick, der gewechselt wird, ein Moment der Präsenz. Die Frage: Wie geht’s Ihnen denn? Ein solches Timeout kennen wir auch aus anderen Bereichen. In der Notfall- und Intensivmedizin heißt das „10 for 10“: 10 Sekunden durchatmen, um sich für 10 Minuten konzentriertes Handeln zu sammeln. So ist das mit dem Spirituellen auch. Es braucht sogenannte spirituelle Pausen. Nicht nur dann, wenn jemand gestorben ist – da kennen wir ja das Ritual der Gedenkminute –, sondern schon allein für dieses Sich-getragen-fühlen. Kurze spirituelle Pausen bringen die Ökonomie eines Großklinikums nicht durcheinander, im Gegenteil!
Dringen Sie mit dieser Botschaft auch bei den Klinikleitungen durch?
Sagen wir mal so: Ich diskutiere sehr gern mit Menschen, die Verantwortung für große Organisationen haben und die auch mit Geld umgehen. Wir haben deshalb für unser Symposium unter anderem Andreas Beivers, Professor für Gesundheitsökonomie, eingeladen. Ein prominenter Referent, der die Frage stellt: Können wir uns Spiritualität leisten?
Können wir?
Ich möchte es umdrehen: Können wir es uns leisten, Spiritualität auszublenden? Gerade aus ökonomischen Gründen muss ich in Spiritualität und Mitarbeitenden-Motivation investieren, damit ich mehr rausbekomme. Dieser Bereich der Werte, der Motivation, des Umgangs mit Gefühlen von Sinnlosigkeit, der verdient Investitionen, gerade in einer Zeit wie der unsrigen!