Robotik und Telemedizin für mehr Sicherheit in der Corona-Pandemie
Robotik und Telemedizin für mehr Sicherheit in der Corona-Pandemie
Coronainfiziert oder nicht? Das ist oft unklar, wenn Patient*innen mit Beschwerden in die Notaufnahme kommen. Mediziner*innen und Pflegekräfte schützen sich bei der ersten Untersuchung zwar so gut sie können, doch trotz aller Vorsicht bleibt immer ein Restrisiko, sich anzustecken. Expert*innen der Forschungsgruppe für minimal-invasive interdisziplinäre therapeutische Intervention (MITI) am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM) wollen dieses Risiko weiter reduzieren – mit einem robotischen Telediagnostiksystem, das eine berührungsfreie und damit noch sicherere Untersuchung erlaubt.
„ProteCT“ (Protection against the Coronavirus through Robot-Assisted Telemedicine), nennt sich das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Verbundprojekt, das in enger Kooperation mit der „Munich School of Robotics and Machine Intelligence“ (MSRM, Leitung: Prof. Dr.-Ing. Sami Haddadin) der TUM und der Franka Emika GmbH durchgeführt wird. Ziel sei „die Entwicklung eines robotergestützten Systems für die Untersuchung potenziell infektiöser Patienten“, erklärt Prof. Dirk Wilhelm, klinischer Leiter der Forschungsgruppe MITI am Klinikum rechts der Isar. Er ist auch Präsident des internationalen Kongresses CARS 2021 (Computer Assisted Radiology and Surgery), der vom 21. bis 25. Juni am Universitätsklinikum rechts der Isar in München stattfindet – pandemiebedingt online. Forscher*innen aus aller Welt haben dabei auch die Gelegenheit, ProteCT virtuell in Aktion zu erleben.
„Das System soll künftig eingesetzt werden, um Mitarbeiter des Gesundheitswesens zu unterstützen, sagt Wilhelm. „Damit soll die Sicherheit sowohl für die Patienten als auch für das ärztliche Personal verbessert werden.“ Denn: Auch wenn sich Mediziner*innen und Pflegekräfte mit FFP2-Maske, Schutzanzug und vielem mehr schützen: Eine Garantie, sich bei der Untersuchung nicht anzustecken, gibt es nicht. Das Robotersystem soll dieses Restrisiko weitgehend ausschalten: „Unsere langfristige Vision ist es, eine technische Lösung zu schaffen, die einer konventionellen Untersuchung in nichts nach steht“, sagt Daniel Ostler, technischer Leiter des Projekts und damit des großen interdisziplinären Teams, zu dem Expert*innen aus den Bereichen Maschinenbau, Elektrotechnik, Medizin und vielen anderen gehören.
Jede Bewegung der Roboterarme wird gesteuert
Ob das System das leisten kann und wie zuverlässig so gewonnene Ergebnisse sind, wurde bereits an zehn gesunden Proband*innen im Universitätsklinikum rechts der Isar untersucht: Testpersonen unterzogen sich dazu in einer großen mit Hightech-Geräten ausgestatteten Kabine einer umfangreichen Diagnostik – ohne direkten Kontakt zu Mediziner*innen. Die Untersuchung folgte dabei einem festen Ablauf: Ein Arzt führte zunächst per Videoschalte ein Anamnesegespräch mit den Testpatient*innen. „Neueste Übertragungstechnik hilft uns hier eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung trotz räumlicher Trennung sicherzustellen“, erklärt Jonas Fuchtmann, Ingenieur im MITI-Team. Einfache Untersuchungen führen Proband*innen dann nach Anweisung des Arztes und von Videoanleitungen unterstützt selbst durch, darunter das Messen von Körpertemperatur, Blutdruck und Sauerstoffsättigung.
Nach dieser Basisdiagnostik untersuchte einer von insgesamt zwei Hightech-Roboterarmen die Testpatient*innen im Stehen und Liegen. Wichtig zu wissen: Diese Untersuchung erfolgte nicht automatisiert: Arzt oder Ärztin lenken mithilfe einer Steuerungskonsole von einem Kontrollraum aus jede Bewegung der Roboterarme. Dank der Kameras in der Kabine, die Livebilder auf zwei Monitore im Steuerungsraum übertragen, hat der Untersuchende die Testperson dabei stets gut im Blick und kann sie auch hören: Für einen besonders natürlichen Klangeindruck sind Raummikrofone an der Decke der Kabine angebracht.
Roboterarm hört die Brust ab und tastet den Bauch ab
Roboterarm eins ist mit drei Aufsätzen ausgestattet, mit denen er die Herztöne aufzeichnen, den Bauch abtasten und die Brust beklopfen und abhören kann – letzteres ist eine einfache Möglichkeit, Anzeichen einer Lungenentzündung zu erkennen. Die Aufsätze sind dazu mit Membranen, teils mit Minimikrofonen und vor allem mit sensiblen Kraftsensoren ausgestattet. Sie verhindern, dass die Roboterfinger zu stark zudrücken. Bewegt der Untersuchende die Steuerungskonsole, spürt er zudem einen wachsenden Widerstand. „Die Stärke des Widerstands lässt sich dabei genau einstellen und anpassen“, erklärt Ingenieur Fuchtmann.
Bei den ersten Tests kamen alle Studienteilnehmer*innen gut mit den Anweisungen zurecht und gaben an, sich trotz der ungewohnten Untersuchung nicht unwohl gefühlt zu haben – von Anfang an ein wichtiges Anliegen der Forscher: Schon bei der Entwicklung habe man großen Wert darauf gelegt, „dass Patient*innen bei der Untersuchung stets das Gefühl haben, geborgen zu sein“, erklärt Maximilian Berlet, ärztlicher Mitarbeiter im Team. „Sie sollen sich nicht erschrecken und keine Angst haben.“ Darum sind die Wände der Untersuchungskabine aus Glas: So sind möglicherweise ansteckende Patient*innen von den Untersuchenden getrennt, haben aber nie das Gefühl, allein einem maschinellen System ausgeliefert zu sein. „Auf der anderen Seite der Glaswand können sie immer jemanden sehen, das empfinden viele als beruhigend“, sagt Berlet.
Corona-Abstrich von Roboterhand
Selbst eine kontaktarme Blutabnahme in der Kabine ist möglich. In der Glaswand gibt es dazu eine Schleuse, durch die die Testperson ihren Arm hierfür nach draußen schiebt. Die Untersuchung von Mund und Rachen sowie der Corona-Abstrich erfolgten ganz zum Schluss mit dem zweiten Roboterarm. Die Testperson sitzt dabei auf einem Hocker, mit dem sie jederzeit nach hinten wegrollen kann, wenn sie bei der Untersuchung Angst bekommt oder sich erschreckt. Sie entscheidet zudem selbst, wann der Roboter loslegen darf – mit einem Tritt auf ein Pedal setzt sie das Gerät in Bewegung. Dann greift sich der Roboterarm einen Abstrichtupfer, führt diesen vorsichtig in den offenen Mund der Testperson ein und führt mit einer kreisförmigen Bewegung vorsichtig den Rachenabstrich durch. In der Vorstudie haben sich diese Vorkehrungen als sehr wichtig erwiesen: Proband*innen fühlten sich dadurch weniger ausgeliefert, weil sie Kontrolle über die Untersuchung erhielten.
Auch die Dauer der Untersuchung zeigte sich als praxistauglich: Rund 13 Minuten erforderte ein vollständiger Durchlauf im Schnitt. „Etwa so lang wie eine vergleichbare, konventionelle Untersuchung in der Notaufnahme“, sagt Mediziner Berlet. Danach werden Kabine und Geräte nach einem strengen Plan gereinigt, den die Forscher*innen zusammen mit Hygieneexperten des Universitätsklinikums ausgetüftelt haben. Die Dauer der Reinigung – rund 15 Minuten – ist ebenfalls vergleichbar mit einer konventionellen Untersuchung.
Tests an Patient*innen im Klinikum rechts der Isar
Inzwischen haben die Forscher*innen schon den nächsten Schritt gewagt – von gesunden Testpersonen zu Patient*innen in der Notaufnahme. Wie Patient*innen in so einer Situation auf das Robotersystem reagieren, will man dabei an Menschen mit eher harmlosen Beschwerden herausfinden. „Unsere Studie soll dazu dienen, die ersten Ergebnisse zu bestätigen“, sagt Prof. Wilhelm. ProteCT ist dabei nur eines von vielen robotischen Projekten, die derzeit am MITI und am Zentrum für Medizinische Robotik und Maschinelle Intelligenz (MRMI) laufen. „Wir wollen Roboter dafür einsetzen, die medizinische Versorgung langfristig zu verbessern und Mitarbeiter im Gesundheitswesen zu unterstützen“, sagt Wilhelm. „ProteCT ist hierbei nur einer von vielen Ansätzen.“
Bewährt sich das System, könnte es künftig nicht nur bei Infektionskrankheiten wie Covid-19 gute Dienste leisten. Denkbar ist auch der telemedizinische Einsatz in Krisengebieten über große Distanz. So könnten Spezialist*innen zum Beispiel von München aus Patient*innen untersuchen, die sich viele tausend Kilometer entfernt befinden.
Corona-Abstrich per Roboterarm: Durch eine kleine Öffnung führt der Roboterarm einen Abstrichtupfer in den Rachen von MITI-Ingenieur Roman Krumpholz ein, der fürs Foto den Testpatienten gibt.
Foto: Klinikum rechts der Isar