Vom 22. bis 26. Juli findet die Welt-Aids-Konferenz (AIDS 2024) in München statt. Fünf Tage lang werden sich Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Politik, Betroffenengruppen und Beratungsorganisationen zum Thema HIV austauschen. Lokaler Vorsitzender der Konferenz ist Prof. Christoph Spinner, Infektiologe am Universitätsklinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM). Im Interview spricht der Arzt und Forscher darüber, warum die Konferenz auch nach mehr als 40 Jahren Aids notwendig ist, aber auch über neueste Forschungsergebnisse, die Mut machen.
Herr Prof. Spinner, die ersten Aids-Fälle wurden Anfang der 1980er Jahre beschrieben. Im Jahr 2024 werden in München mehr als 10.000 Expertinnen und Experten zur mittlerweile 25. Welt-Aids-Konferenz erwartet. Brauchen wir denn eine solche Großveranstaltung noch?
Ja, unbedingt! Deutschland ist in Bezug auf das HI-Virus ein Niedriginzidenzland mit rund 96.400 Betroffenen und etwa 2.200 Neuinfektionen pro Jahr. In anderen Regionen der Welt sieht das ganz anders aus. Besonders betroffen sind viele afrikanische Länder und osteuropäische und asiatische Länder. In Osteuropa und Asien ist die Zahl der Neuinfektionen beispielsweise zwischen 2010 und 2019 um 72 Prozent angestiegen.
Die Situation in Osteuropa wird in mehreren Fachvorträgen auf der Konferenz Thema sein. Wie kommt es zu einer so radikalen Verschlechterung?
Das hat sehr viel damit zu tun, dass Übertragungswege wie Drogengebrauch und Sexarbeit dort immer stärker kriminalisiert werden. Menschen, die einem hohen HIV-Expositionsrisiko ausgesetzt sind oder bereits mit HIV leben, haben keinen Zugang zu geeigneter Information, Prävention und Therapien oder werden schlicht stigmatisiert. So kann sich HIV ungehindert ausbreiten – die Folge sind steigende HIV-Zahlen, wie sie derzeit aus Osteuropa gemeldet werden.
Könnten Medikamente den Betroffenen helfen?
Eine Erkrankung mit HIV ist mittlerweile gut behandelbar und das erworbene Immunschwächesyndrom kann wirksam verhindert werden. Mit modernen Medikamenten haben die Betroffenen eine potenziell normale Lebenserwartung und können das Virus auch nicht mehr weitergeben. Durch internationale Programme sind die Medikamente auch in ressourcenärmeren Ländern verfügbar. Dennoch ist der Zugang zur Therapie auf der Welt teilweise erheblich eingeschränkt und es fehlt vielen Verantwortlichen und Betroffenen an Wissen oder Bewusstsein über HIV und Aids. So kann sich die Krankheit leicht ausbreiten. Dem HI-Virus sind Grenzen und Gesellschaften ganz egal.
Wie lässt sich die Situation verbessern?
Entscheidend ist, dass die politischen Mandatsträgerinnen und -träger erreicht werden. Zum Glück ist die Bedeutung des Themas vielen Politikerinnen und Politikern bewusst – bei der Eröffnungsveranstaltung von AIDS 2024 wird auch Bundeskanzler Olaf Scholz dabei sein. Natürlich gibt es auch in Osteuropa Unterstützer im Kampf gegen HIV und AIDS. Das zeigt das Beispiel Polen. Miłosz Parczewski, Präsident der polnischen Aids-Forschungs-Gesellschaft, ist einer der Hauptredner auf der Aids-Konferenz.
Welche Rolle spielt das Thema Ausgrenzung von Betroffenen für Deutschland?
Auch in Deutschland und vor allem in Bayern war der Umgang mit HIV nicht immer einfach. In den 80er Jahren wurden Menschen mit HIV ausgegrenzt. Einzelne Politiker haben sich gar bemüht, Risikogruppen und Betroffene an den Rand der Gesellschaft zu drängen. Es brauchte viel politisches Engagement auf Bundesebene, bis sich die Vernunft durchsetzte. Schließlich galt der Kampf der Krankheit und nicht den Betroffenen – mit Aufklärung, Zugang zur Diagnostik und Therapie und wirksamer Prävention.
Also ist mittlerweile alles gut hierzulande?
Die Neuinfektionszahlen in Deutschland konnten erheblich reduziert werden. Zuletzt sind sie aber wieder leicht gestiegen, vor allem bei Drogengebrauchenden und Heterosexuellen. Zeit zum Ausruhen ist noch nicht. Nach wie vor werden Betroffene im Alltag stigmatisiert – von Mitmenschen und teilweise sogar in Arztpraxen. Mein Kollege Prof. Jochen Schneider hat mit der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film gerade einen Kurzfilm gedreht, der auf das Thema aufmerksam machen will.