Betreuung in der Krippe – Risiko oder Chance?

Betreuung in der Krippe – Risiko oder Chance?

Aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen werden immer mehr Säuglinge und Kleinkinder bereits sehr früh in einer Kinderkrippe betreut. Für die Entwicklung eines Menschen spielen besonders Erfahrungen in den ersten Lebensjahren eine zentrale Rolle. Vor diesem Hintergrund stellt der Übergang in die Krippenbetreuung eine große Herausforderung dar – sowohl für die Kinder und Eltern als auch für die Mitarbeiter der Krippen. Daher ist es wichtig, dass Eltern und Erzieher Trennungs- und Stresssituationen einfühlsam begleiten können. Doch wie werden sie optimal auf diese Anforderungen vorbereitet? Wie können sie auf Probleme frühzeitig reagieren? Und wo finden Sie bei Bedarf fachlich fundierte Unterstützung? Die Kinder- und Jugendpsychosomatik am Klinikum rechts der Isar hat im Rahmen der Baby-Kleinkind-Sprechstunde ein entsprechendes Angebot konzipiert.

Die Forschung zeigt: Die ersten Jahre sind entscheidend
Wissenschaftliche Studien belegen, dass die ersten beiden Lebensjahre die sensibelste Phase für die weitere Entwicklung eines Menschen sind.[1] Frühkindlicher Dauerstress, wie z.B. negative Beziehungserfahrungen in den ersten Lebensjahren, kann dauerhafte Spuren im Gedächtnis und in den Genen hinterlassen, die sich bis ins Erwachsenenalter hinein auswirken können – wenn nicht rasch gegengesteuert wird.
So zeigt beispielsweise eine aktuelle Untersuchung von Prof. Wolke (University of Warwick, Coventry/UK) und Dr. Gabriele Schmid, Dipl.-Psychologin in der Kinder- und Jugendpsychosomatik im Klinikum rechts der Isar, einen klaren Zusammenhang zwischen Problemen im Baby- und Kleinkindalter und späteren Störungen: Kinder, die bereits in den ersten Lebensjahren durch anhaltende Probleme mit Essen, Schlafen und Schreien (sogenannte Regulationsprobleme) auffallen, leiden im Schulalter mit höherer Wahrscheinlichkeit an Problemen mit Aufmerksamkeit und Hyperaktivität. Dr. Schmid erklärt: „In weiteren Studien wollen wir untersuchen, ob eine frühe Behandlung der Regulationsstörungen und der damit häufig verbundenen Probleme der Eltern-Kind-Beziehung das Risiko für Störungen im Schulalter verringern kann.“

Besondere Herausforderungen in der Kinderkrippe
Wie wirkt sich die frühe Betreuung von Kindern unter drei Jahren auf Familien und Erzieher aus? Dr. Doris Müller, Ärztin in der Kinder- und Jugendpsychosomatik, erläutert: „Es ist zunächst ganz normal und angemessen, wenn Kinder, die von ihren elterlichen Bezugspersonen getrennt werden, mit Gefühlen von Angst und Wut auf die Trennung reagieren. Je jünger die Kinder dabei sind, desto wichtiger ist es, den Prozess besonders sorgfältig zu begleiten. Dies gilt nicht nur für die Eltern, sondern natürlich auch für die pädagogischen Fachkräfte in den Krippen. Wir stellen häufig fest, dass die Erzieher auf die Betreuung einer wachsenden Zahl jüngerer Kinder nicht optimal vorbereitet werden und keine idealen Rahmenbedingungen für ihre Arbeit vorfinden.“
Gerade bei sehr jungen Kindern ist es schwerer festzustellen, welche Reaktionen noch alterstypisch sind und was ein Hinweis auf eine Störung sein könnte. So kann beispielsweise eine Trennungsreaktion so verspätet erfolgen, dass sie nicht mit dem eigentlichen Problem in Verbindung gebracht wird. Dr. Doris Müller: „Wenn sich ein Kind bei der Abholung aggressiv verhält, denken viele Eltern, das Kind lehne sie ab. Aber es kann auch sein, dass das Kind verspätet auf die Trennung am Morgen reagiert.“ Und wenn ein Kind besonders unkompliziert ist, sei das nicht unbedingt positiv: Denn es sei eine gesunde Reaktion, in der ersten Zeit gegen die Trennung von den Eltern zu protestieren. Bei vielen dieser vordergründig „einfachen“ Kinder könne eine deutlich höhere physiologische Stressreaktion nachgewiesen werden, als bei einem laut schreienden Kind.
Stellen Erzieher fest, dass bei einem Kind entsprechende Risikofaktoren und Hinweise auf eine beginnende Störung vorliegen, sollten sie mögliche Hilfsangebote kennen, an die sie die Eltern rechtzeitig verweisen können. Auch der richtige Umgang mit Eltern von Säuglingen und Kleinkindern erfordert dann entsprechendes Knowhow: Denn gerade wenn Eltern vielleicht ohnehin ein schlechtes Gewissen haben, weil sie ihre Kinder sehr früh in eine Krippe bringen, sollte man ihnen die Sorgen und Nöte des Kindes vermitteln, ohne die Schuldgefühle zu verstärken.

Unterstützung für Erzieher und Eltern
Für Eltern und ihre Kinder bietet die Baby-Kleinkind-Sprechstunde am Klinikum rechts der Isar ein umfangreiches Angebot. Oft ist den Eltern bereits mit Information und Beratung geholfen, bei Bedarf stehen zudem weitere Therapiemöglichkeiten zur Verfügung.
Besonders am Herzen liegt den Mitarbeitern der Kinder- und Jugendpsychosomatik auch die Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen aus dem Bereich der frühen Kindheit: So haben sie gerade gemeinsam mit den Babyambulanzen der psychoanalytischen Institute in München eine Seminarreihe für Krippenmitarbeiter gestartet. Der erste Termin stieß bereits auf sehr großes Interesse und bestätigte die Annahmen der Organisatoren, dass sich viele Krippenmitarbeiter überfordert fühlen oder von Schuldgefühlen geplagt sind. Dies gilt besonders dann, wenn sie in einer Einrichtung arbeiten, in der der empfohlene Betreuungsschlüssel von höchstens 1 zu 3 nicht eingehalten wird. Dr. Müller: „Die meisten Erzieher haben ein gutes Gespür für die Bedürfnisse der Kinder und erkennen, wenn eine gute Begleitung der Kinder nicht möglich ist.“
Erstrebenswert ist aus Sicht der Mitarbeiter der Kinder- und Jugendpsychosomatik nicht nur eine gute personelle und räumliche Ausstattung der Kinderkrippen. Sie wünschen sich auch gesellschaftliche Veränderungen: So sollten beispielsweise Arbeitgeber auf die besondere Situation von Eltern mit kleinen Kindern noch mehr Rücksicht nehmen. Die Eingewöhnungsphase in die Kinderkrippe wäre weniger problematisch, wenn Eltern in dieser Zeit flexiblere Arbeitszeiten hätten.
Trotz aller Herausforderungen kann die Krippe eine große Chance für Familien darstellen. So zeigen Untersuchungen, dass die Rückkehr der Eltern in den Beruf mit einer erhöhten Zufriedenheit einhergeht, die sich wiederum positiv auf die Beziehung zum Kind und auf das Familienleben auswirkt. Zudem können gerade Kinder aus hoch belasteten Familien durch den Besuch einer Krippe positive und korrigierende Beziehungserfahrungen machen.
The future is now – diesen Leitspruch sollte die Bundesregierung bei der Planung ihrer Haushaltsgelder für den erweiterten Krippenausbau berücksichtigen – denn frühe sichere Bindungserfahrungen, die auch während der Krippenbetreuung stattfinden müssen, bilden die Grundlage für eine gesunde Gesellschaft.

[1]
1) Gunnar & van Dulmen. Behavior problems in postinstitutionalized internationally adopted children. Dev Psychopathol. 2007; 19(1):129-48.
2) Glaser D. The effects of child maltreatment on the developing brain. Med Leg J. 2014; 82(3): 97-111.
3) Patchev AV1, Rodrigues AJ, Sousa N, Spengler D, Almeida OF. The future is now: early life events preset adult behaviour.Acta Physiol (Oxf). 2014 Jan;210(1):46-57.
4) Koss KJ, Hostinar CE, Donzella B, Gunnar MR. Social deprivation and the HPA axis in early development. Psychoneuroendocrinology. 2014 Aug 7;50C:1-13.

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