Neue Erkenntnisse zur Entstehung von Speiseröhrenkrebs
Neue Erkenntnisse zur Entstehung von Speiseröhrenkrebs
Erstes transgenes Mausmodell eröffnet neue Einblicke in die Entstehung von Barrett-Ösophagus und Ösophaguskarzinoms
Wissenschaftlern um Dr. Michael Quante von der II. Medizinischen Klinik am Klinikum rechts der Isar der TU München ist es gelungen, die Entstehung des Barrett-Ösophagus aufzuklären, einer Gewebeveränderung der Speiseröhre, die häufig eine Vorstufe für Speiseröhrenkrebs (Ösophaguskarzinom) bildet. Quante entwickelte mit Forschern von der Columbia Universität in New York ein neues Mausmodell für Barrett-Ösophagus, das neue Erkenntnisse zu beiden Erkrankungen ermöglicht und bisherige Theorien in Frage stellt. Die Ergebnisse sind in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Cancer Cell erschienen.
Das Adenokarzinom der Speiseröhre gehört zu den am schnellsten zunehmenden Tumoren in der westlichen Welt und ist mittlerweile zwei Prozent der tumorbedingten Todesfälle verantwortlich. Zu den Ursachen zählen Refluxbeschwerden (Sodbrennen), eine entzündliche Erkrankung der Speiseröhre, die bei etwa zehn Prozent der Patienten schrittweise zu gutartigen Schleimhautveränderungen, dem Barrett-Ösophagus, führt. Dieser gilt als die häufigste Vorstufe des Speiseröhrenkarzinoms. Die genauen Ursachen für die Entstehung und die rasante Zunahme der Krebsart sind bisher unbekannt, unter anderem, da realistische Tiermodelle fehlen.
Die Ergebnisse der Forscher um Quante deuten darauf hin, dass der Ursprung des Tumors nicht, wie bisher angenommen, in der Speiseröhre, sondern in den obersten Teilen des Magens (Kardia) liegt. Von dort wandern Stammzellen, durch die Entzündung angelockt, in die Speiseröhre. Diese Hypothese bedeutet einen Paradigmenwechsel im Verständnis von Barrett-Ösophagus und Speiseröhrenkarzinom. Die Wissenschaftler setzten auf den Entzündungsbotenstoff Interleukin-1-beta, der bei Refluxpatienten verstärkt nachweisbar ist. Im neuen Mausmodell wird der Stoff spezifisch und im Übermaß in der Speiseröhre aktiviert und führt zur Entstehung eines Tumors.
Die Wissenschaftler sammelten auch neue Erkenntnisse zur Rolle von Stammzellen: Stammzellen im Magen-Darm-Trakt können durch bestimmte genetische Marker charakterisiert werden. Diese Zellen treten in der gesunden Speiseröhre nicht auf, sind aber bei Barrett-Ösophagus signifikant vermehrt und scheinen eine Bedeutung für die Tumorentstehung zu haben. Die Forscher konnten belegen, dass bestimmte Stammzellen, die normalerweise für die Regeneration eines Gewebes verantwortlich sind, auch als Ursprungszellen für die Tumorentstehung in Frage kommen.
Ein weiteres Resultat der Forscher stellt die bisherige Annahme in Frage, dass ein Barrett-Ösophagus nur bei normalerweise im Darm vorkommenden Becherzellen (intestinale Metaplasie) vorliegt. Anhand des neuen Mausmodells konnten die Wissenschaftler zeigen, dass sowohl bei Mäusen als auch beim Menschen die Tumoren vielmehr bereits aus den Vorgängern, den Zylinderepithelzellen, hervorgehen. Diese Ergebnisse und die Beobachtungen anderer Gruppen führen zu der Theorie, dass die Ausreifung zu Becherzellen einen Schutz vor der Tumorentstehung bildet und somit vorbeugend eingesetzt werden kann.
In einem von der Deutschen Krebshilfe im Rahmen des Max-Eder-Nachwuchsprogramms unterstützten Forschungsprojekt in der II. Medizinischen Klinik sollen auf Basis des Mausmodells klinische Überwachungsstrategien und Therapiekonzepte für Barrett-Ösophagus entwickelt werden.
Originaltitel:
Michael Quante et al. Bile Acid and Inflammation Activate Gastric Cardia Stem Cells in a Mouse Model of Barrett-Like Metaplasia. Cancer Cell, 2012 DOI: 10.1016/j.ccr.2011.12.004