Kartierung von Gehirnregionen durch Magnetstimulation: Millimetergenaue Vorbereitung für OP von Gehirntumoren
Kartierung von Gehirnregionen durch Magnetstimulation: Millimetergenaue Vorbereitung für OP von Gehirntumoren
Die Operation eines Gehirntumors ist Millimeterarbeit: Einerseits sollte der Tumor möglichst großflächig entfernt werden, andererseits dürfen keine wesentlichen Bereiche des Gehirns in Mitleidenschaft gezogen werden. Um bereits im Vorfeld der Operation die für Bewegung und Sprache im Gehirn verantwortlichen Regionen exakt zu verorten, nutzt die Neurochirurgie am Klinikum rechts der Isar seit einigen Jahren die sogenannte navigierte transkranielle Magnetstimulation (nTMS). Mit Hilfe dieser Methode können detaillierte „Landkarten“ für die Umgebung des Tumors erstellt werden, die während der Operation eine wertvolle Orientierung bieten. Mediziner des Klinikums rechts der Isar belegten jetzt, dass eine nTMS-Analyse der Bewegungsareale vor der Operation die Prognose von Patienten mit bösartigen Hirntumoren verbessert.
Karte für wichtige Sprach- und Bewegungsregionen
Mit der nTMS lässt sich auf vier Millimeter genau untersuchen, welche Hirnbereiche Bewegung oder Sprache steuern. „So können wir rund um den Tumor eine Karte von Bewegungs- und Spracharealen und Nervenbahnen erstellen. Bei der OP liefern uns diese Daten eine sehr gute Orientierungshilfe, wo wir schneiden dürfen und wo nicht“, erklärt Privatdozent Dr. Sandro Krieg, Arbeitsgruppenleiter an der Neurochirurgischen Klinik.
Um mit der nTMS-Methode Bewegungsareale zu ermitteln, tastet der Arzt mit einer Magnetspule feste Positionspunkte am Kopf ab. Die Spule erzeugt dabei schmerzlos im Gehirn kurze Stromimpulse, die Nervenzellen im Gehirn stimulieren. Aktiviert der Stromstoß an einem bestimmten Punkt Nervenzellen, die Muskelbewegungen auslösen, können die Wissenschaftler diese für den Patienten nicht wahrnehmbaren Aktivitäten mit Hilfe von Elektroden an Armen und Beinen messen. Diese Position gilt dann als essentieller Punkt für Bewegungsabläufe.
Um herauszufinden, wo sich die für Sprache wichtigen Regionen befinden, werden die entsprechenden Areale durch Stromimpulse gehemmt. Die Patienten lösen dabei unterschiedliche Sprachaufgaben. Kommt es bei der Hemmung einer bestimmten Stelle zu Sprachverzögerungen oder -fehlern, handelt es sich um einen für die Sprache wesentlichen Punkt.
Bis zu 150 einzelne Positionspunkte pro Patient werden bei einer nTMS-Untersuchung analysiert und kartiert. Während die Patienten bei der Analyse von Bewegungsarealen wenig von dem Verfahren mitbekommen und häufig sogar einschlafen, ist die rund zwei Stunden dauernde Sprachanalyse für sie anstrengender. Sandro Krieg: „Bei bestimmten Patienten kontrollieren wir zusätzlich während der Operation, dass wir keine Sprachregion verletzen. Wir wecken sie dafür vorübergehend aus der Narkose auf, damit sie genau solche Sprachaufgaben bearbeiten können. Diese Patienten sind meist froh, dass sie das vor der Operation bei der nTMS gewissermaßen „üben“ konnten.“
Die Neurochirurgen am Klinikum rechts der Isar haben umfangreiche Erfahrungen mit nTMS: Sie haben die Methode mitentwickelt und setzen sie seit 2010 routinemäßig vor Gehirntumor-Operationen ein.
nTMS-Untersuchung verbessert Prognose von Patienten
In einer aktuellen Studie untersuchten und kartierten Sandro Krieg und sein Team Bewegungsareale bei Patienten mit hochmalignen Gliomen (high-grade gliomas, HGG), die meist eine schlechte Prognose haben. Sie verglichen dabei zwei Personengruppen: Patienten, die vor der Operation eine nTMS-Analyse bekommen hatten und Patienten, die noch zu einer Zeit eine Tumoroperation erhielten, als nTMS in der Klinik nicht standardmäßig eingesetzt wurde.
Die Studienergebnisse zeigen, welche Vorteile die nTMS-Kartierung für die Patienten im Vergleich zur Kontrollgruppe bietet: Bei den Patienten mit nTMS-Analyse mussten weniger große Schädeleröffnungen durchgeführt werden und es blieben nach dem Eingriff seltener Tumorreste zurück. Zudem war ihr Klinikaufenthalt im Durchschnitt zwei Tage kürzer. Da auch der allgemeine Gesundheitszustand bei den nTMS-behandelten Patienten besser war, konnten anschließend mehr von ihnen eine Radiotherapie erhalten. Vor allem aber lebten die Patienten um einige Monate länger als die Kontrollgruppe.
„Wir müssen die Ergebnisse sicherlich mit größeren Patientengruppen bestätigen, aber ein wichtiger Punkt zeigt sich deutlich: Eine Kartierung des Tumors vor der Operation beeinflusst viele Aspekte des Eingriffs positiv“, kommentiert Krieg die Ergebnisse und ergänzt: „Manche Tumore, die sonst als inoperabel gelten, können durch diese Methodik doch entfernt werden.“
Für die Zukunft wollen die Wissenschaftler unter anderem die Kartierung von Sprachregionen weiterentwickeln. In einer aktuellen Studie zeigten die Forscher bereits, dass ein Test mit Benennung von Objekten für die Analyse von Sprachzentren im Gehirn die zuverlässigste Methode ist. „Sprachregionen sind sehr viel komplexer als die Bewegungsareale. Hier wollen wir höhere Standards schaffen, um Patienten mit Tumoren in diesen Regionen bestmöglich zu helfen“, so Sandro Krieg.
Originalpublikationen
S. M. Krieg, N. Sollman, T. Obermüller, J. Sabih, L. Bulubas, C. Negwer, T. Moser, D. Droese, T. Boeckh-Behrens, F. Ringel, B. Meyer, Changing the clinical course of glioma patients by preoperative motor mapping with navigated transcranial magnetic brain stimulation, BMC Cancer, April 2015.
DOI: 10.1186/s12885-015-1258-1(http://www.biomedcentral.com/1471-2407/15/231)
T. Hauck, N. Tanigawa, M. Probst, A. Wohlschlaeger, S. Ille, N. Sollmann, S. Maurer, C. Zimmer, F. Ringel, B. Meyer, S. M. Krieg, Task Type Affects Location of Language-Positive Cortical Regions by Repetitive Navigated Transcranial Magnetic Stimulation Mapping, PLOSone, April 2015.
DOI: 10.1371/journal.pone.0125298 (http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0125298)
Bildunterschrift:
nTMS-Kartierung eines Tumors (orange): In pink sind die Nervenbahnen und essentiellen Positionspunkte für Sprachregionen dargestellt, wichtige Punkte des Bewegungsareals sind in grün, Nervenbahnen in gelb abgebildet. (Bild: Sandro Krieg / Klinikum rechts der Isar)