Ein unbeschriebenes Blatt
Bereits die erste Generation unter ihrem Chef Maurer nahm die Herausforderung an: Vor allem im Bereich der Krankenversorgung und der Lehre leisteten die jungen Ordinarien Außerordentliches. Sie legten damit den Grundstock für das stetig wachsende Ansehen „ihrer“ Fakultät. Eine gewisse praktische Begabung war übrigens durchaus von Vorteil: Professor Hans Blömer etwa, der das Herzkatheterlabor aufbaute, verhandelte nicht nur mit einem Glasbläser, der die entsprechenden Geräte herstellte, sondern er legte auch selbst tatkräftig Hand an: „Ich hatte immer einen Schraubenzieher im Arztkittel stecken“, erinnert sich der heute 93-Jährige an die Aufbaujahre. Hans Blömer zählt zu den Pionieren der Kardiologie und leistete während seiner Zeit am Klinikum rechts der Isar Herausragendes. Dennoch hatte die Medizinische Fakultät noch zu Beginn der 1980er Jahre trotz der hervorragenden Arbeit junger, engagierter und ehrgeiziger Wissenschaftler mit Vorurteilen zu kämpfen. Als „ein unbeschriebenes Blatt“ sei die Neugründung von außen wahrgenommen worden, sagt Professor Jörg Rüdiger Siewert, der 1982 als Nachfolger von Georg Maurer auf den Lehrstuhl für Chirurgie berufen wurde.
Auf Erfolgskurs
Die Sache mit dem unbeschriebenen Blatt änderte sich bald, denn immer wieder setzten Fakultätsmitglieder Ausrufezeichen in der Fachwelt und in der breiten Öffentlichkeit. Dazu einige Beispiele:
- Von 1976 an erzielten die plastischen Chirurgen aufsehenerregende Erfolge bei der mikrochirurgischen Replantation abgetrennter Finger. c Die 1980 an der Fakultät gegründete Ethik-Kommission gehörte zu den ersten ihrer Art. Heute ist die Forschung ohne eine solche Kontrollinstanz undenkbar.
- Mitte der 1990er Jahre entwickelten die Gastroenterologen die Endoskopie entscheidend weiter: Sie waren die Ersten, die eine endoskopische radiologische Darstellung des Pankreas- und Gallengangs (ERCP) und die endoskopische Papillotomie (EPT) einführten. Das sind heute Standardbehandlungen zur Gewebeentfernung bei Steinen, Stenosen und Tumoren.
- In den 1990er Jahren wurden am Klinikum erstmals Tumorkonferenzen etabliert, in denen Spezialisten unterschiedlicher Fachrichtungen gemeinsam eine Therapie festlegen. Diese Tumorboards wurden sozusagen ein Exportschlager, es gibt sie mittlerweile an vielen Kliniken.
- 2008 gelang einem vierzigköpfi gen interdisziplinären Team die erste bilaterale Armtransplantation weltweit. Ein Landwirt hatte einige Jahre zuvor bei einem Arbeitsunfall beide Arme verloren – nun bekam er die Arme eines Spenders erfolgreich transplantiert.
- 2010 entdeckte ein Team der Frauenklinik das Hochrisiko-Gen RAD51C, das an der Entstehung von Brustkrebs beteiligt ist. Damit gibt es nun weltweit drei bekannte derartige Gene.
Internationale Spitzenforschung
Innerhalb von nur zwei Generationen hat sich die Medizinische Fakultät nicht nur fest in der TUM etabliert, sondern genießt heute weltweit einen hervorragenden Ruf in Forschung, Lehre und Krankenversorgung. Die vor fünfzig Jahren noch ungewöhnlich erscheinende Liaison der Humanmedizin mit einer Technischen Hochschule hat sich somit nicht nur bewährt, sondern ist der Motor, der nun die fakultätsübergreifende Spitzenforschung antreibt.
Dorothea Friedrich