50 Jahre Uniklinikum: Gute Perspektiven, neue Behandlungswege bei Krebserkrankungen

50 Jahre Uniklinikum: Gute Perspektiven, neue Behandlungswege bei Krebserkrankungen

Die Entwicklung neuer Therapien gegen Krebs hat in den vergangenen Jahren rasante Fortschritte gemacht. Große Hoffnungen setzen Wissenschaftler und behandelnde Ärzte in die Weiterentwicklung der Immuntherapie mit ihren unbestreitbaren Erfolgen. Professorin Angela Krackhardt ist am Universitätsklinikum rechts der Isar Spezialistin für Tumorimmunologie und translationale Immuntherapie. Sie spricht im Interview über Forschungsergebnisse im Bereich der Immuntherapie, deren Umsetzung in der Praxis und über Perspektiven.

 

Prof. Dr. Angela Krackhardt

Frau Professor Krackhardt, was ist Immuntherapie?

Professorin Angela Krackhardt: Die Immuntherapie im Rahmen von malignen Erkrankungen ist eigentlich ein Sammelbegriff für verschiedene Ansätze, um Tumoren mit Unterstützung des Immunsystems zu behandeln. Die Idee, dass man Krebserkrankungen durch die Stimulation des eigenen Immunsystems therapieren kann, ist schon alt. Paul Ehrlich hat schon Anfang des 20. Jahrhunderts die These vertreten, dass das Immunsystem bei der Abwehr von Krebserkrankungen außerordentlich wichtig ist. In den fünfziger und sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gab es die ersten Knochenmarktransplantationen beim Blutkrebs. Deren Wirkmechanismus beruht zu einem Teil auf der Immunreaktion des Spender-Knochenmarks gegenüber den bösartigen Zellen des Empfängers. Anschließend hat man über Jahre versucht, diesen Ansatz auf andere Krebsarten zu übertragen – zunächst ohne Erfolg. Die Immuntherapie hatte zu dieser Zeit einen schweren Stand.

Warum?

Krackhardt: Verschiedene Ansätze gingen schnell in die klinische Prüfung am Patienten, haben aber nicht gut funktioniert. Das änderte sich erst mit der Entdeckung und weiteren Erforschung der komplexen Kommunikation zwischen Zellen des Immunsystems und anderen Körperzellen. Unsere Abwehrzellen, die virusinfizierte Zellen, aber auch bösartige Zellen erkennen können, werden T-Zellen genannt. Sie spüren krankhaft veränderte Zellen über die Erkennung körpereigener Erkennungsmerkmale und kleiner Einweißstückchen, sogenannte Peptide, auf. Die präsentierten Peptide können beispielsweise darauf hindeuten, dass eine Zelle von einem Virus befallen oder dass ihr Erbgut verändert ist – ein Merkmal von Tumorzellen. Diese Erkennung kann allerdings durch spezifische Eiweißmoleküle, bestimmte Rezeptoren und deren Liganden, die auf der Oberfläche von Tumorzellen und Immunzellen ausgeprägt sind, erheblich beeinflusst werden. Wir wissen jetzt, dass die Tumorzelle mit der Ausprägung verschiedener Rezeptoren und Liganden auf ihrer Oberfläche die Immunzellen blockieren kann. Das war eine ganz wesentliche Entdeckung.

Wenn ich diese Rezeptoren ausschalte ...

Krackhardt: ... kann die Immunzelle stark gegen die Tumorzellen vorgehen. Die sogenannte PD-1/PD-L1-Achse, die in der Toleranz gegen eigenes Gewebe eine wichtige Rolle spielt, ist hier ein zentraler Angriffspunkt. PD-1 wird auf aktivierten T-Zellen ausgeprägt. PD-L1 ist häufig auf der Oberfläche von körpereigenen Zellen nachweisbar, kann aber auch auf Tumorzellen ausgeprägt werden. Dies führt dann über die Bindung an PD-1 zu einer Hemmung der T-Zelle. Das heißt, die T-Zelle zieht sich zurück und stirbt gegebenenfalls auch ab. Wenn wir zum Beispiel eine Virusinfektion haben, vermehren sich die spezifischen Zellen sehr stark, um den Virusinfekt in den Griff zu bekommen. Nach einer gewissen Zeit ziehen sich die Immunzellen wieder zurück. Das wird wesentlich über diese Rezeptoren gesteuert. Der Tumor nutzt das aus, um möglichst jede Attacke gegen ihn auszuschalten. Manche Tumore tragen schon von sich aus diesen Liganden an der Oberfläche, das kann genetisch bedingt sein. Bei anderen Tumorzellen ist dies eine Reaktion auf eine Immunantwort. Wenn also die Immunzelle bestimmte Botenstoffe ausschüttet, baut die Tumorzelle eine Art Schutzschild auf. Sie signalisiert der Immunzelle: Stopp, kill‘ mich nicht, ich bin harmlos. So kann die Immunzelle nicht erfolgreich eingreifen.

Das heißt?

Krackhardt: Man versucht, die Kommunikation zwischen Tumorzelle und Abwehrzelle durch den Einsatz von spezifischen Antikörpern gegen diese Rezeptoren und Liganden so zu verändern, dass die Immunzelle in der Erkennung und der Attacke von Tumorzellen nicht müde wird und diese dann zerstört.

Was erkennt denn die T-Zelle konkret auf der Tumorzelle?

Krackhardt: Das ist ein Fokus der Arbeiten in meiner Forschungsgruppe. Es wurde beobachtet, dass bei den Patienten, die auf diese Antikörper angesprochen haben, die sogenannte Mutationslast in den Tumorzellen sehr hoch ist. Das heißt: Mutationen, also Veränderungen der Erbsubstanz, sind einer der wesentlichen Merkmale von Tumorzellen. Im Laufe ihres Lebens sammeln die Tumorzellen Mutationen an. Es gibt Tumore mit sehr vielen Mutationen und andere mit wenigen. Patienten mit sehr vielen Mutationen in Tumoren sprechen häufig auf die Therapie besser an als die mit wenigen. Daraus kann man die Hypothese ableiten, dass Immunzellen diese Mutationen irgendwie erkennen können. Das ist tatsächlich der Fall. Mutierte Gene werden in Proteine übersetzt, also in Eiweiße, die dann ebenfalls eine Mutation in ihrer Sequenz haben. Diese Eiweiße werden, wenn sie nicht mehr benötigt werden, in der Tumorzelle und in jeder anderen Zelle durch einen Enzymapparat, dem Proteasom, in Peptide abgebaut. Diese werden wiederum, wie bereits erwähnt, an der Oberfläche von körpereigenen Erkennungsstrukturen präsentiert. Wir versuchen, zusammen mit Kooperationspartnern am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried sowie der TUM, diese mutierten Eiweißstückchen zu identifizieren und die Immunantworten gegen diese zu charakterisieren und zu verstehen.

Welche Konsequenz ergibt sich daraus?

Krackhardt: Es war eine sehr wichtige Erkenntnis, dass solche Mutationen von so wichtiger Bedeutung für die Wirkung von Immuntherapien sind, weil diese Mutationen in den normalen Zellen ja nicht vorhanden sind. Auch hier hilft uns der Vergleich mit einer Viruserkrankung: Infiziert ein Virus eine Zelle, schafft die Zelle kleine Bestandteile des Virus an die Oberfläche und präsentiert sie der Umgebung. So erkennt unser Immunsystem, dass sich in dieser Zelle ein Virus eingenistet hat. Bei den Tumorzellen funktioniert es genauso. Die Tumorzelle produziert die mutierten Eiweißstückchen, diese gelangen an die Oberfläche und sind dadurch für das Immunsystem erkennbar.

Wie erfolgt die Behandlung konkret?

Krackhardt: Die Behandlung ist eine Antikörper-Therapie, die gegen die entsprechenden Rezeptoren und Liganden gerichtet ist. Diese werden per Infusion verabreicht. Über sie erfolgt die Unterbrechung der Kommunikation zwischen Tumorzelle und Immunzelle. Man kann beispielsweise PD- 1- oder PD-L1-Antikörper einsetzen. Die Identifizierung dieser Strukturen war sehr schwierig und langwierig, aber die Therapie ist einfach. Man erhält alle zwei oder drei Wochen eine Infusion. Anders als bei der Chemotherapie gibt es weder Haarausfall noch Infekte oder Übelkeit. Das ist ganz wichtig. Es kann beim Patienten allerdings zu Autoimmunnebenwirkungen kommen, die gelegentlich auch bedrohlich werden können, insbesondere wenn sie spät erkannt werden. Das heißt, die Balance zwischen Fremd- und Eigenerkennung gerät durcheinander. Prinzipiell kann davon jedes Organ betroffen werden, Schilddrüse, Darm und Leber sind aber beispielswiese häufiger betroffen. Eine entsprechende Aufklärung des Patienten ist sehr wichtig.

Wie viele Patienten haben Sie mit dieser Therapie bereits behandelt?


Krackhardt: Weit über einhundert.

Wie finden Sie heraus, wer für diese Therapie geeignet ist?

Krackhardt: Die Therapie beruht auf einem generellen Wirkprinzip – im Gegensatz zu manchen anderen Therapien, die nur bei einer bestimmten malignen Erkrankung angewendet werden können. Die Wirksamkeit dieser neuen Therapie ist in großen Studien bei verschiedenen bösartigen Erkrankungen geprüft worden und inzwischen beim Melanom, beim Nierenzellenkarzinom, beim Lungenkarzinom und demnächst bei Kopf-Hals-Tumoren – da steht die Zulassung unmittelbar bevor – einsetzbar. Auch beim fortgeschrittenen und vorbehandelten Hodgkin-Lymphom gibt es schon eine Zulassung. An erster Stelle steht bei jedem Patienten die Frage: Ist das Medikament bei dieser Erkrankung und in diesem Stadium bereits zugelassen? Dann gibt es weitere Kriterien, wie beispielsweise die Verfügbarkeit wirksamer therapeutischer Alternativen. Beim Lungenkrebs kann man die PD-L1-Expression auf den Tumorzellen als Marker für ein Ansprechen heranziehen. Patienten mit starker Ausprägung dieses Eiweißmoleküls auf der Oberfläche ihres Tumors haben eine sehr gute Chance, von dieser Therapie zu profitieren.

Gibt es Probleme?

Krackhardt: Neben den schon genannten Autoimmunnebenwirkungen besteht das Problem, dass viele Tumore sehr heterogen sind und sich ständig verändern, was bei der Resistenzentstehung eine große Rolle spielt. Tochtergeschwülste können wieder andere Mutationen haben oder bestimmte Bedingungen, die eine Immunantwort verhindern. Das heißt, die Behandlung wird zukünftig noch personalisierter, also auf einen speziellen Patienten zugeschnitten, und gegebenenfalls auch metastasenspezifisch werden müssen. Das ist natürlich teuer und aufwendig.

Aber je breiter diese Medikamente angewendet werden können, umso preiswerter müssten sie doch werden?

Krackhardt: Das stimmt. Einige Medikamente, wie beispielsweise die aktuell angewendeten Immuncheckpunkt-Inhibitoren, die sehr breit in der Onkologie angewendet werden können, werden sicher irgendwann in Zukunft billiger. Neue Medikamente müssen aber entwickelt werden, um Resistenzentwicklungen entgegenzuwirken. Patienten-spezifische, personalisierte Therapieansätze, die derzeit entwickelt werden, sind ebenfalls sehr teuer, da sie für jeden Patienten speziell zubereitet oder zusammengestellt werden müssen, um beispielsweise die individuellen Mutationen und Gegebenheiten einer Tumorerkrankung gezielt anzugehen.

Wie verbreitet ist die Immuntherapie aktuell?

Krackhardt: Sie ist ganz stark im Kommen bei einer Vielzahl von Tumorerkrankungen und gehört bei manchen Erkrankungen inzwischen bereits zur Routine – jedenfalls in den großen Zentren.

Wo liegen bisher die größten Erfolge?

Krackhardt: Beim malignen Melanom, dem Schwarzen Hautkrebs, der einer der aggressivsten Krebsarten ist, konnte die Immuntherapie mittels Immuncheckpunkt-Inhibitoren die Überlebensraten drastisch erhöhen. Die wichtigsten Aspekte dieser Immuntherapie sind die langfristigen guten Verläufe, die damit erzielt werden können.

Welche Zukunftsperspektiven sehen Sie?

Krackhardt: Je besser wir die Zusammenhänge verstehen, umso besser wird die Behandlung. In Zukunft werden wir mit Kombinationstherapien arbeiten. Ein wichtiger Punkt ist beispielsweise zu verstehen, auf welche Weise auch einzelne Mutationen die Tumorzelle so beeinflussen, dass das Immunsystem gegen sie nicht angehen kann. Es wird sehr spannend, dann molekulare und Immuntherapien zu kombinieren. Ebenso spannend wird es, Chemo-, Strahlen und Immuntherapien zu kombinieren. Andere Systeme im Körper, wie Bakterien und der Stoffwechsel in den verschiedenen Organen und Tumoren, spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Dazu müssen wir die Zusammenhänge aber noch besser verstehen. Das wird sicherlich zu noch komplexeren Therapieformen führen. Ziel ist es aber, auf diese Weise die Wirksamkeit und Tumorspezifität der Therapie nochmals zu erhöhen und möglichst vielen Patienten helfen zu können.

Interview: Dorothea Friedrich

 

 

 

 

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