MS-ähnliche Erkrankung durch Fehlfunktion bei Toleranzbildung
Neuromyelitis optica ist eine Autoimmunerkrankung, die der Multiplen Sklerose (MS) ähnelt. Während für MS noch nicht bekannt ist, welche Moleküle angegriffen werden, weiß man, dass T-Zellen bei Neuromyelitis optica auf das körpereigene Protein AQP4 ansprechen. Betroffen sind insbesondere Zellen im Nervengewebe, häufig wird der Sehnerv angegriffen.
Die Forschenden konnten zeigen, dass in der Thymusdrüse von Menschen und Mäusen nicht nur die Epithelzellen, sondern auch B-Zellen den T-Zell-Vorläufern AQP4 präsentieren. Wurden im Tierversuch die B-Zellen davon abgehalten, blieben die entsprechenden T-Zellen erhalten und die Autoimmunerkrankung trat auf. Das war auch dann der Fall, wenn die Epithelzellen das Molekül noch präsentierten. Daraus schließt das Team, dass die B-Zellen im Thymus eine notwendige Bedingung für eine Immuntoleranz in Bezug auf AQP4 sind.
Schutz vor Wechselwirkungen zwischen T-Zellen und B-Zellen
„Wir vermuten, dass dieser bislang unbekannte Prozess auch entstanden ist, um folgenschweren Wechselwirkungen zwischen autoreaktiven T- und B-Zellen in Lymphknoten und Milz, dem sogenannten peripheren Immunkompartiment, vorzubeugen“, sagt Ludger Klein. Wenn das Immunsystem einmal ausgebildet ist, können B- und T-Zellen kommunizieren und dadurch besonders effektive Immunreaktionen bewirken. Das ist sinnvoll, wenn es darum geht, Krankheitserreger schnell zu bekämpfen. Im laufenden Betrieb kann es jedoch dazu kommen, dass B-Zellen versehentlich körpereigene Proteine wie AQP4 präsentieren. Wären die T-Zellen, die auf AQP4 reagieren, nicht im Thymus aussortiert worden, könnte es zu einem plötzlichen und besonders heftigen Großangriff auf den eigenen Körper kommen.
Mögliche Ursache für weitere Immunerkrankungen
„Unsere Vermutung ist, dass auch andere Autoimmunerkrankungen dadurch entstehen, dass es Probleme bei der 'Ausbildung’ der T-Zellen durch die B-Zellen gibt”, sagt Thomas Korn. “Immerhin präsentieren die B-Zellen im Thymus eine ganze Reihe von körpereigenen Proteinen. Die entsprechenden Interaktionen müssen in weiteren Studien untersucht werden.“
Verdachtsfälle sind aus Sicht der Forschenden unter anderem das Antiphospholipid-Syndrom (APS) und bestimmte Formen der Zerebralen Amyloidangiopathie. „Weiter in die Zukunft gedacht, könnte man auch untersuchen, ob sich diese Interaktion im Thymus auch nutzen lässt, um bestehende Autoimmunerkrankungen sehr gezielt zu behandeln“, sagt Thomas Korn.
Publikation:
B cells orchestrate tolerance to the neuromyelitis optica autoantigen AQP4, Nature (2024)