50 Jahre Uniklinikum: Zukunftsfragen der Medizin

50 Jahre Uniklinikum: Zukunftsfragen der Medizin

Die Ausbildung künftiger Mediziner soll optimiert werden. Der Masterplan Medizinstudium 2020 beispielsweise will diesen anspruchsvollen Studiengang neu strukturieren, eine größere Praxisnähe und eine Stärkung der Allgemeinmedizin fördern sowie die Auswahl von Bewerberinnen und Bewerbern den Anforderungen der kommenden Medizinergeneration anpassen. Soweit die Theorie, denn der Masterplan ist gerade erst verabschiedet worden.

Am Universitätsklinikum rechts der Isar hingegen beschäftigen sich ein eigenes Zentrum und – seit 2015 – ein eigener Lehrstuhl mit drängenden Zukunftsfragen der Medizin. Direktor des TUM Medical Education Centers (TUM MEC) sowie Inhaber des Lehrstuhls für Medizindidaktik, medizinische Lehrentwicklung und Bildungsforschung ist Professor Pascal Berberat. Er erklärt die Aufgaben des TUM MEC und warum sein Lehrstuhl Pionierfunktion hat.

Professor Pascal Berberat

Prof. Dr. Pascal Berberat leitet das TUM Medical Education Center (TUM MEC).
Foto: M. Stobrawe/MRI

Herr Professor Berberat, warum gibt es das TUM MEC?

Professor Pascal Berberat: Die medizinische Lehre in Deutschland ist seit etwa 15 bis 20 Jahren im Aufbruch und hat seit der neuen Approbationsordnung von 2002 sehr viel erreicht. So wurde das Studium praxisorientierter und in seiner gesamten Form interaktiver. Auch die Prüfungen während des Studiums werden zunehmend als zentrales Element der guten Lehre verstanden. Alle diese Faktoren erfordern allerdings mehr Ressourcen und insbesondere eine Professionalisierung der medizinischen Lehre.

Und das fördert das TUM MEC?

Berberat: Ja, denn wir haben insgesamt zwar schon viel erreicht, sind aber immer noch auf dem Weg, uns weiter zu verbessern. Unser Zentrum arbeitet in vier Teams für die Bereiche Studiengang, Training, Entwicklung und Forschung. 

Was kann ich darunter verstehen?

Berberat: Das Team Studiengang hat die Aufgaben des klassischen früheren Studiendekanats wie Management der Stundenpläne und Prüfungen, Beratungen von Studierenden und ähnliches. Neu ist der Bereich Training, insbesondere mit dem Simulationszentrum.

Im Simulationszentrum des TUM MEC üben Studierende komplexe Situationen, wie beispielsweise „akute Lebensgefahr“, unter realistischen Bedingungen.

Foto: Elisabeth Mitterwallner/MRI

Was passiert da?

Berberat: Das Konzept ist aus der Luftfahrt entlehnt. Die Luftfahrt arbeitet viel mit Simulation. Der Vergleich hinkt jedoch, weil die Luftfahrt mit Maschinen umgeht. Wir gehen mit Menschen um. Aber manches ist übertragbar. Eigentlich gibt es heute keine medizinische Fakultät ohne Simulationszentrum mehr. Sie sind unterschiedlich groß – von richtigen Palästen, die Millionen gekostet haben, bis hin zu ganz kleinen Einrichtungen in zwei Räumen. Wir haben hier 600 Quadratmeter zur Verfügung.

Was trainieren Studierende dort?

Berberat: Das ist ganz unterschiedlich. Studierende können zum Beispiel diverse Fertigkeiten lernen, etwa wie man korrekt eine Wunde näht, wie man einen Tubus legt oder sogar, wie man laparoskopisch operiert. Wir versuchen hier aber insbesondere, einen Schwerpunkt auf das Meistern komplexer Situationen zu legen – zu Themen wie „Akute Lebensgefahr“, „Hygiene“ oder „Stationsmanagement“. 

Wie laufen diese Szenarien ab?

Berberat: Die Aufgaben sind vorher definiert. Die Szenarien finden in real eingerichteten Räumen statt. Wir haben einen OP-Saal, ein Zimmer einer Intensivstation, ein normales Patientenzimmer und Ambulanzzimmer. Berufs- oder Laienschauspieler übernehmen die Rolle des Patienten. Die Studierenden übernehmen die Arztrollen. Die Szenen dauern etwa zehn Minuten. Alle Räume sind mit Mikrofonen und Kameras ausgestattet. Der Trainer und andere Studierende beobachten die Szene vom Debriefing-Raum aus live. Anschließend erfolgt die Videoanalyse wie beim Fußballspiel auch: Das ist gut gelaufen, das ist schlecht gelaufen, das haben wir aus der speziellen Situation gelernt.

Haben Sie noch andere Übungsmöglichkeiten?

Berberat: Ja, von Low- bis Hightech. Gerade in der Notfallmedizin spielen Hightech-Modellpuppen eine große Rolle. Aus der Regie kann man ihren Puls, den Blutdruck oder die Atmung steuern, sie können Krankheitssymptome zeigen und reagieren auf das, was der „Arzt“ macht, wie Medikamente spritzen, sie beatmen und so weiter.

Das klingt nach Stress für die Teilnehmer. Sie sind ja erst in der Ausbildung.

Berberat: Richtig stressig wird es vor allem in komplexen Situationen, wie zum Beispiel in einem Schockraum. Der lebensgefährlich verletzte Patient – in diesem Fall die Puppe – trifft auf viele unterschiedliche Personen und Professionen: Chirurgen, Anästhesisten, Pfleger, Radiologen. Die Beteiligten müssen jetzt im Team funktionieren. Sie müssen ja ein Leben retten. Sie müssen wiederbeleben, den Atemweg sichern, aber sie müssen auch miteinander kommunizieren: Wer übernimmt jetzt die Führung, wer hört auf wen – und das interprofessionell.

Kann man gerade im Schockraum seine eigenen Emotionen beiseite lassen, zum Beispiel bei einem verletzten Kind nach einem Anschlag?

Berberat: Bei der Simulation ist es ein ungeschriebenes Gesetz, dass niemals ein Patient stirbt. In der Realität sterben natürlich Menschen in solchen Situationen. Aber um die Studierenden zu motivieren, sind die Simulationen zwar sehr schwierig, aber am Schluss immer erfolgreich, der Patient überlebt.

Gibt es Ausnahmen?

Berberat: Ja, die gibt es. Wir haben für einen vorerst noch fakultativen Kurs im Praktischen Jahr zum ersten Mal ein spezielles Modul entwickelt. Im ersten Training reanimieren die Teilnehmer erfolgreich. Im zweiten Modul ist der Ablauf gleich, aber der Patient stirbt. Hier geht es nicht mehr um standardisierte Abläufe, sondern wir wollen anschließend mit den Studierenden besprechen: Was passiert da mit euch? Was müsst ihr jetzt tun? Den Totenschein ausstellen, mit Angehörigen sprechen, was natürlich sehr sensibel ist, aber es geht auch um die eigene Haltung. Was bedeutet das für mich, wie gehe ich damit um?

Es besteht also die Gefahr, dass man zum hilfl osen Helfer wird?

Berberat: Auf diesem Gebiet passiert leider noch relativ wenig. Die Fragestellung ist: Was passiert mit angehenden Medizinern in solchen Grenzsituationen, und wie verändert sich die Haltung während der Aus- und Weiterbildung? Das sind Fragen, die mich auch als Forschungsthema mehr und mehr beschäftigen.

Was zählt noch zu Ihren Kernaufgaben?

Berberat: Ich trainiere Ärzte, wie sie gute Lehre machen können. Dabei geht es um die sogenannte Medizindidaktik. Früher hat man gedacht, dass das Arztsein an sich schon zum guten Lehrer qualifi ziert. Es gibt sehr Talentierte für die Lehre, aber es gibt auch welche, die sind nicht so talentiert. Aber gerade mit den vielen neuen Möglichkeiten, wie E-Learning oder Simulation, kann jeder etwas Nützliches dazu lernen. Im Kern sind aber der Enthusiasmus für das Thema und die Motivation, jemandem etwas beizubringen die alles entscheidenen Faktoren. Dies zu fördern und zu unterstützen, sehe ich als meine wichtigste Aufgabe.

Wie läuft das Training für die Lehrenden ab?

Berberat: Wir haben das sehr strukturiert während der vergangenen Jahre. Wer sich zum Beispiel habilitieren will, muss in Bayern sechzig Stunden medizindidaktische Fortbildung machen. In Baden-Württemberg sind es sogar 120 Stunden. Wir vermitteln den Habilitanden, wie man eine interaktive Vorlesung gestaltet, wie eine Präsentation aussieht, wie eine Vorlesung aufgebaut ist. Medizinspezifisch sind solche Fragen wie beispielsweise: Wie mache ich praktischen Unterricht? Wie mache ich Unterricht am Krankenbett? Wie bringe ich jemandem das Nähen von Wunden bei? Wie gestalte ich eine mündliche und wie eine praktische Prüfung? Seit Neuestem muss jeder Arzt, jede Ärztin, die neu am Klinikum tätig ist, sogar eine halbtägige Dozentenschulung absolvieren.

Ihr Lehrstuhl steht in engem Zusammenhang mit dem TUM MEC. Was ist das Besondere daran?

Berberat: Es gibt insgesamt momentan nur vier Lehrstühle dieser Art in Deutschland. Sie wurden alle erst in den vergangenen fünf Jahren gegründet. Mein Lehrstuhl besteht seit 2015. Wir sind also noch ganz am Anfang und leisten alle weiterhin Pionierarbeit.

Worauf konzentrieren Sie sich derzeit hauptsächlich?

Berberat: Auf Forschung und Entwicklung. Entwicklung ist das entscheidende Bindeglied. Ich vertrete das Prinzip: Der Alltag muss die Forschung prägen, weil uns der Alltag die Herausforderungen und Probleme vorgibt. Das gibt uns die Fragestellungen für die Forschung. Und das, was wir in der Forschung herausfinden, sollten wir baldmöglichst in den Alltag bringen. Nur durch eine enge Verbindung mit der täglichen Lehrpraxis und Studiumsorganisation kommt ein solcher Lehrstuhl zu voller Wirkung. Es ist zwar nicht selten eine Herausforderung, aber die enge Verbindung aller vier Bereiche, Forschung, Entwicklung, Training und Studiengang unter einem Dach, dem TUM MEC, scheint mir optimal.

Das ist nicht immer so einfach?

Berberat: Nein, es gibt viele drängende Themen und Herausforderungen, zum Beispiel zur Frage der Digitalisierung in der Lehre: Jeder redet darüber, aber in der Praxis ist es sehr schwierig und sehr aufwändig, dies in der Breite nachhaltig umzusetzen. Ein anderes Thema sind neue Prüfungsformate, Prüfungen besser zu machen und auf das eigentlich Gelernte abzustimmen. Auch die Simulation wird ständig weiterentwickelt. Was mich persönlich sehr beschäftigt, ist das Thema der Interprofessionalität, die Interaktion zwischen Pfl ege und Ärzteschaft. Die Ausbildungen verlaufen im Moment in getrennten „Silos“. Keiner weiß vom anderen. Wenn sie in der Klinik dann aufeinander treffen, denkt jeder, der andere hat keine Ahnung.

Wie wollen Sie das ändern?

Berberat: Wir haben einzelne Pilotprojekte. Zum Beispiel machen anästhesietechnische Angestellte zusammen mit Ärzten im Praktischen Jahr ein interprofessionelles Training für Auszubildende und Studenten. Wir machen mit einzelnen Pflegeschulen und angehenden Ärzten Kommunikationstraining und Stationsmanagement. Das Fernziel ist, dass jeder Student daran teilnehmen soll, aber mit den Ressourcen, die wir momentan haben, ist es schwierig, dies wirklich in die Breite zu bringen. Dabei sind diese Pilotprojekte hoch erfolgreich.

Interview: Dorothea Friedrich

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