50 Jahre Uniklinikum: Wenn das Gedächtnis nicht mehr will

50 Jahre Uniklinikum: Wenn das Gedächtnis nicht mehr will

Eine neue Idee

Vorbild für die Gründung waren die Memory Clinics in den USA – ihnen nachempfunden entstand am Klinikum rechts der Isar, angegliedert an die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie (Direktor: Prof. Hans Förstl), das Zentrum für kognitive Störungen, als erstes seiner Art in Europa. Hier kümmern sich Spezialisten um die Diagnose und Therapie von Demenz-Erkrankungen.

„Die Patienten und auch die Angehörigen, die zu uns kommen, sind meistens sehr verunsichert“, erklärt Privatdozent Dr. Timo Grimmer. Umso wichtiger, dass die Betroffenen dann nicht in die Psychiatrie kommen, um Hilfe zu suchen, sondern in die Gedächtnissprechstunde – auch wenn natürlich beides zusammenhängt. Die Hemmschwelle sei niedriger, denn „leider erleben Leute psychische Erkrankungen – egal welcher Art – noch immer häufig mit Scham“, bedauert Grimmer.

Auf der Suche nach dem "Warum?"

Ungefähr 400 Menschen im Jahr suchen Hilfe in der Gedächtnissprechstunde am Rechts der Isar, „jedem widmen wir durchschnittlich vier Stunden für die Untersuchung und Datenaufbereitung“, berichtet Timo Grimmer. Meistens sind die Angehörigen die treibende Kraft für einen Besuch. Zunächst wird festgestellt, in welchem Maß die Menschen hilfebedürftig sind. „Wir arbeiten mit einem standardisierten Interview, um festzustellen, wo es fehlt“, erklärt Timo Grimmer. Bei den neuropsychologischen Untersuchungen der Patienten werden Bildung, Alter und Geschlecht berücksichtigt, um ein unverfälschtes Ergebnis zu bekommen. „Danach haben wir eine Vorstellung vom Ausmaß der Beeinträchtigung.“ Als nächstes wird nachgeforscht, ob vielleicht körperliche Ursachen der Grund für die kognitiven Störungen sind: „Zum Beispiel eine Unterfunktion der Schilddrüse, ein Vitamin B12-Mangel oder das Schlafapnoe-Syndrom. Auch eine larvierte Depression, also eine Depression, die sich hinter körperlichen Beschwerden versteckt, kann der Grund für die Beschwerden sein“, erläutert der Mediziner. Gab es hier keine Ergebnisse, dann forschen die Ärzte weiter: „Im Kernspintomographen können wir Gefäßveränderungen im Gehirn feststellen, zum Beispiel ausgelöst durch einen Schlaganfall, oder auch einen möglichen Tumor entdecken.“

Sollten all die Tests keine Klarheit gebracht haben, dann untersuchen die Mediziner schließlich den Liquor. „Im Nervenwasser lassen sich die Eiweiße Amyloid und Tau nachweisen“, erläutert Grimmer. Die Höhe der Konzentration von Amyloid im Liquor erlaubt Rückschlüsse darüber, ob es im Gehirn eine kritische Masse überschritten hat und somit die chemische Reizübertragung behindert. „Amyloid wird aus einem Vorläufer-Eiweiß gebildet, das in den Nervenzellmembranen sitzt und wichtig ist, um neue Verknüpfungen zu bilden“, beschreibt Grimmer die komplizierten Abläufe in unseren Köpfen. Sollte sich im Gehirn aber ein Zuviel an diesem Eiweiß finden, dann weiß man, dass die Menschen an Alzheimer leiden. Mitgetrieben von Forschungsergebnissen von Grimmer und Kollegen der nuklearmedizinischen Klinik gelingt es seit einigen Jahren, Amyloid auch mittels der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) im Gehirn bildlich darstellen – und seit kurzem auch Tau.

Diese beiden Eiweiße kommen also auch in gesunden Gehirnen vor, da sie das Abbauprodukt von für uns essentiell wichtigen Eiweißen sind. Normalerweise werden sie aber aus dem Kopf hinaustransportiert, damit sie nicht die Nervenzellen verkleben und so schließlich abtöten. „Bei Alzheimer funktioniert dieser Abtransport nicht. Noch wissen wir nicht, woran das liegt.“

Die Therapie

Steht die Diagnose, dann folgt die Therapie: Heilen lässt sich Alzheimer nicht und die auf dem Markt befindlichen Medikamente können das Absterben der Zellen nicht verhindern. Sie zielen darauf, die noch guten Zellen im Gehirn zu stärken, was aber die Zerstörung im Kopf nicht aufhalten kann, aber die Beschwerden lindern. 

Privatdozent Dr. Timo Grimmer bei der neuropsychologischen Untersuchung einer Patientin.

Weitere Hilfe

Steht die Diagnose, dann können die Kranken weitere Hilfe finden: „In unserer Tagesklinik 50+, die von Prof. Janine Diehl-Schmid geleitet wird, bekommen die Patienten die bestmögliche Therapie“, sagt Grimmer und zählt auf: „Ob Physiotherapie oder Gedächtnistraining, wir versuchen die Betroffenen und ihre Angehörigen in ihrem Alltag zu unterstützen.“ Dazu gehört auch die Entwicklung von mitdenkenden Alltagsgeräten, die „wir gemeinsam mit dem Lehrstuhl für Bewegungswissenschaft vorantreiben“, freut sich der Arzt. So sollen die Patienten einfache, alltägliche Handgriffe, wie zum Beispiel das Kaffeekochen, wieder selber erledigen können – die Technik hilft ihnen. Die Beratung der Angehörigen ist natürlich auch ein Teil der Leistungen der Gedächtnissprechstunde: Hier geht es um Pflegestufen oder Vorsorgevollmachten. „Vor vielen Jahren haben hier in unseren Räumen Angehörige die Alzheimergesellschaft München gegründet“, erzählt Timo Grimmer. Aus ihr ist die Alzheimergesellschaft Deutschland hervorgegangen. Das Zentrum für kognitive Störungen am Klinikum rechts der Isar hat sich im Laufe der Jahre zu einem festen Rettungsanker für Alzheimer-Patienten und deren Angehörige entwickelt. 

Grund zur Hoffnung

Alzheimer ist bei Menschen über 65 die am häufigsten auftretende Demenzerkrankung und wird schon deshalb besonders intensiv beforscht – bisher allerdings noch nicht mit revolutionären Erfolgen. Einen Schritt weiter ist aber vielleicht Timo Grimmer: Der Forscher hat zusammen mit der Medizintechnik der FH Aachen und der Nephrologie des Klinikums rechts der Isar eine Methode entwickelt, mit der man – nach seinen bisherigen Erkenntnissen – sehr sicher voraussagen kann, ob ein Mensch an Alzheimer leidet. Und zwar in einem Frühstadium, das noch eine erfolgreiche medizinische Inter - vention erlauben könnte. Einblicke erhält er durch eine einfache Untersuchung des Augenhintergrundes. „Wir haben entdeckt, dass die Pulsatilität der Gefäße im Augenhintergrund direkt mit der Menge der Amyloide im Gehirn zusammenhängt. Je schwächer die Gefäße pulsieren, umso wahrscheinlicher sind große Eiweiß-Ablagerungen an den Gefäßwänden im Gehirn“, beschreibt der Wissenschaftler seine Erkenntnisse. Man vermutet, dass die in jedem Gehirn als Abbau-Produkt vorkommenden Amyloide durch die pulsierenden Gefäße aus dem Kopf transportiert werden – was beim gesunden Menschen mit einer ordentlichen Gefäß-Aktivität prima gelingt. Anders bei den AlzheimerPatienten – hier schaffen die Gefäße es nicht, die Eiweiße, die sich außen an ihnen ablagern, nach draußen zu befördern. „Wir wissen noch nicht, was zuerst kommt: Zuviel Eiweiß, das die Gefäße hemmt oder schlecht arbeitende Gefäße, an denen sich immer mehr Eiweiß ansammelt“, so Grimmer. Aber er ist sich sehr sicher, dass mit seiner sehr einfachen und kostengünstigen Untersuchungsmethode Alzheimer in einem Frühstadium entdeckt werden kann. Zu einem Zeitpunkt, wo die Schädigungen der Nervenzellen im Gehirn nur minimal sind und wo es noch keine spürbaren Veränderungen in der kognitiven Leistung der Menschen gibt. Bestätigen sich Grimmers Vermutungen, so könnte die Bevölkerung routinemäßig mit wenig Aufwand untersucht werden. Men - schen, deren Untersuchungsergebnisse auffällig sind, könnten dann bereits zu Beginn ihrer Krankheit erfolgversprechend behandelt werden: „Im Moment sind einige vielversprechende, aber noch nicht zugelassene Medikamente in der Entwicklung, welche die Amyloide aus dem Körper herausholen können.“ Noch ist es nicht Wirklichkeit, aber die Forschungsergebnisse von Timo Grimmer lassen berechtigt hoffen. 

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