50 Jahre Uniklinikum: Operation im Mutterleib

50 Jahre Uniklinikum: Operation im Mutterleib

David und Lukas sind eineiige Zwillinge. Sie sind fast zwei Jahre alt und rundum gesund. Keine Selbstverständlichkeit, denn im Mutterleib war ihr Leben in ernster Gefahr: In der 24. Schwangerschaftswoche wurde bei ihnen das lebensbedrohliche feto-fetale Transfusionssyndrom, auch Zwillingstransfusionssyndrom genannt, festgestellt. Das bedeutet: Bei eineiigen Zwillingen, die sich einen Mutterkuchen, die Plazenta, teilen, kommt es häufig vor, dass sich dort Gefäßanastomosen, also Verbindungen zwischen den Blutgefäßen der beiden Kinder, bilden. Bei Verbindungen zwischen einer Arterie und einer Vene, den sogenannten arteriovenösen Anastomosen, findet eine einseitige Blutübertragung vom einen Zwilling, der als Donor bezeichnet wird, auf den anderen, den Akzeptor, statt. Es kommt zu schwerwiegenden Durchblutungs- und Ernährungsstörungen, die sehr häufig zu Fehl- oder Frühgeburten, zu neurologischen Schäden oder zum Tod eines oder beider Kinder führen.

Eine solche Diagnose ist ein Schock für werdende Eltern. Was können sie, was kann der Spezialist tun? In der Frauenklinik des Universitätsklinikums rechts der Isar ist der Leitende Oberarzt Dr. Javier Ortiz der richtige Ansprechpartner. Er hat sich auf pränatale Diagnostik und auf fetale Chirurgie spezialisiert. „Bei eineiigen Zwillingen, die sich eine Plazenta teilen, ist es ganz normal, dass sich einige Blutgefäße im Mutterkuchen verbinden“, sagt Dr. Ortiz. „Aber in manchen Fällen, bei zehn bis fünfzehn Prozent dieser Schwangerschaften, entwickelt sich ein gefährliches Ungleichgewicht, das feto-fetale Transfusionssyndrom.“

Wenn sich Arterien mit Venen verbinden, geht der Blutfluss wie bei einer Einbahnstraße nur noch in eine Richtung. Ein Zwilling gibt sein Blut an sein Geschwister ab. So wird er total unterversorgt. Sein Geschwister dagegen bekommt „zuviel des Guten“. Das mag für Laien auf den ersten Blick schwer nachvollziehbar sein, doch beide ungeborenen Kinder leiden unter diesem Ungleichgewicht. „Dem Empfängerzwilling geht es meistens schlechter, da das Herz die große Blutmenge nicht mehr pumpen kann“, sagt Experte Ortiz. Das Herz des Empfängerzwillings vergrößert sich durch das große Blutvolumen und die Harnblase ist übervoll. Durch die verstärkte Ausscheidung von Urin erhöht sich die Fruchtwassermenge immer weiter, und es besteht die Gefahr, dass die Fruchtblase platzt. Der Spenderzwilling, der unter Blutarmut und daraus resultierender Mangelversorgung leidet, wächst viel langsamer. Er produziert weniger Urin und scheidet auch viel weniger aus, die Fruchtwassermenge nimmt ab. Irgendwann liegt das Kind im Trockenen.

Das war auch bei der Mutter von David und Lukas der Fall. Eine Ultraschalluntersuchung zeigte in der 24. Schwangerschaftswoche die lebensbedrohliche Situation: „Einer hing schon tief unten im Becken, ohne Fruchtwasser, der andere hatte viel zu viel“, erinnert sie sich. Dann ging alles sehr schnell. „Mein Gynäkologe hat Dr. Ortiz angerufen und einen Termin für den nächsten Morgen vereinbart.“ Früh morgens setzte sich die Familie ins Auto und fuhr nach München. Das Perinatalzentrum des Klinikums rechts der Isar ist für ganz Süddeutschland die Anlaufstelle für Fetalchirurgie. Das Team um Dr. Ortiz hat sich auf Operationen von Föten im Mutterleib spezialisiert – eine Kunst, die weltweit nicht viele Ärzte beherrschen. Im Falle eines Zwillingstransfusionssyndroms werden minimalinvasiv, über eine nur wenige Millimeter große Öffnung in der Bauchdecke der Mutter, eine kleine Kamera und eine Laserfaser durch eine Hohlnadel in die Fruchtblase eingeführt. Dort werden die verbundenen Blutgefäße mit dem Laser getrennt, damit jeder Zwilling einen eigenen, geschlossenen Blutkreislauf erhält. Die notwendige Expertise für diesen Eingriff erwarb Dr. Ortiz während einer einjährigen Weiterbildung in Barcelona. Zurück in München baute er hier innerhalb eines Jahres die jüngste Abteilung für Fetalchirurgie in Deutschland auf, die einen ausgezeichneten Ruf genießt.

Dennoch: Der Eingriff ist riskant. „Aber wir verbessern die Überlebenschance von einem Kind von unter zehn Prozent auf 85 bis 90 Prozent und von beiden Kindern auf ungefähr 70 Prozent“, so Ortiz. Doch alles ging gut – und die Zwillinge sind heute putzmunter.

dfr/TUM

 

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