Welche Therapieansätze ergeben sich aus Ihren Diagnosen?
Prof. Philipp Jost: Sehr verkürzt ausgedrückt vermehren sich Zellen durch Signale von Botenstoffen, die an Rezeptoren auf der Zelloberfläche andocken und Informationen ins Zellinnere weitergeben. In diesem komplexen Prozess gibt es sehr viele Hebel, an denen Therapien ansetzen können. Wir haben auch schon richtig gute zielgerichtet wirkende Medikamente zur Verfügung. Zum Beispiel Inhibitoren, wie die Tyrokinase-Hemmer, die die unkontrollierte Zellteilung verhindern, oder Angiogenese-Hemmer, die Tumorzellen aushungern. Wir kennen eine Vielzahl von verschiedenen Wirkstoffen, die unterschiedlich einsetzbar sind.
Profitieren alle Krebserkrankungen gleichermaßen von zielgerichteten Therapien?
Prof. Philipp Jost: Leider nein. Bei gewissen Blutkrebsarten sind wir schon sehr gut, weil sich die Tumorzellen gut extrahieren lassen und wir das genetische Profil schnell bestimmen können. Auch Mammakarzinome behandeln wir medikamentös sehr erfolgreich. Weichteilsarkome hingegen gehören zu den Tumorarten, bei denen wir wenige Mutationen finden und die nicht gut auf Therapien ansprechen.
Individuelle Therapien gelten als sehr teuer …
Prof. Philipp Jost: Die Analytik fällt hier weniger ins Gewicht. Doch zielgerichtet wirkende Medikamente haben ihren Preis, weil die Entwicklungskosten hoch sind und sie nur für wenige Menschen benötigt werden. Deshalb bitten wir die Krankenkassen in den meisten Fällen um Kostenübernahme.
Welche Patienten sind überhaupt für eine zielgerichte Therapie geeignet?
Prof. Philipp Jost: Wir unterstützen alle onkologischen Kliniken am Klinikum rechts der Isar, egal, um welchen Tumor es geht. Wir sind ja kein akademischer Elfenbeinturm! Im vergangenen Jahr haben wir 450 Patienten behandelt – Tendenz steigend. Natürlich gibt es Aufnahmekriterien. So kümmern wir uns überwiegend um Patienten mit seltenen oder ungewöhnlichen Tumoren sowie um Kranke, die als austherapiert gelten und bei denen Standardtherapien versagt haben. Viele Patienten würden bald sterben. Auch wir können sie nicht heilen. Die personalisierte Onkologie ist keine Wunderwaffe. Was wir anbieten, ist eine mögliche Verbesserung der Behandlung durch unsere molekulare Therapie. Und wenn wir hier Fortschritte erkennen, ist das ermutigend. Unsere wissenschaftlichen Grundlagenkenntnisse in die klinische Therapie von Tumorpatienten zu übertragen, finde ich reizvoll und faszinierend.
Gibt es am Klinikum rechts der Isar bestimmte Forschungsschwerpunkte?
Prof. Philipp Jost: Im Bezug auf Genanalytik von Tumoren in der Personalisierten Onkologie stehen wir dank einer starken Pathologie am Klinikum rechts der Isar ausgezeichnet da. Mein persönlicher Schwerpunkt liegt in der funktionellen Analyse von Mechanismen des programmierten Zelltodes in Tumorzellen. Künftig werden wir uns noch verstärkt dem Proteom von Tumorpatienten zuwenden. So bezeichnet man die Gesamtzahl der Proteine, über diese entfalten Gene ihre Wirkung. Um das heterogene Tumormaterial von Patienten nach diesem Kriterium analysieren zu können, bedarf es einer guten Probenverarbeitung. Diese bauen Kollegen der TUM in diesem Jahr gezielt aus.
Gesundheitsminister Jens Spahn möchte den Krebs in zehn Jahren besiegt wissen … Ist das eine Illusion?
Prof. Philipp Jost: Es ist ein sehr ambitioniertes Ziel! Ich glaube daran, dass es mit zielgerichteten Therapien gelingen kann, Krebs besser therapieren zu können. Doch momentan kennen wir viele Veränderungen bei Tumoren noch zu wenig. Sie sind raffiniert, können Resistenzen entwickeln, sich tarnen oder neue Wege finden, sich zu vermehren. Und nicht für alle bekannten molekularen Veränderungen gibt es geeignete Medikamente. Es wird also noch eine Zeit dauern.